Alle Orte, die man knicken kann
Lola Flores, Sängerin
«Was für ein Trübsinn! Was für ein elender Landstrich!»
– Juan de Torquemado, Historiker
Griechenland
N iemand hat die Athener so überzeugend verteidigt wie der frühere Ministerpräsident Kostas Karamanlis: Die Athener seien weder taub noch stumm. Sie seien ansprechbar und könnten sogar antworten, allerdings nur innerhalb ihrer eigenen vier Wände. Karamanlis reagierte damit auf die Beschwerden von Reiseveranstaltern, ausländische Touristen könnten in Athen keinen Kontakt zur einheimischen Bevölkerung aufbauen. «Das liegt daran», erklärte Karamanlis, «dass echte Athener Ohrstöpsel tragen wegen des Lärms, also nicht hören können; und Atemschutzmasken wegen des Smogs, also nicht sprechen können.» Außerdem, ließ der Politiker durchblicken, beherrschten die Athener keine Fremdsprachen. «Wenn jemand Deutsch oder Englisch mit Ihnen spricht, ist das eine Prostituierte.»
Na, immerhin. Tatsächlich ist es erstaunlich laut und erstaunlich dreckig in dieser einst berühmten Stadt, die kürzlich in einem Fernseh-Voting zur hässlichsten des Landes gewählt wurde. Laut ist Athen vor allem deshalb, weil ein altes Verkehrssicherheitsgesetz die ständige Überprüfung der Hupe durch den Fahrer vorschreibt. So wie in Deutschland ein Lokführer regelmäßig ein Pedal oder eine Taste betätigen muss, andernfalls wird Alarmausgelöst, so muss ein griechischer Autofahrer alle drei bis vier Minuten die Hupe drücken, sonst schöpft die Polizei Verdacht. Das Gesetz ist vor mehr als zehn Jahren abgeschafft worden, doch der innere Zwang lebt im Herzen der Fahrer fort. Es wird unaufhörlich gehupt. Dieser ständige Daseinsbeweis gilt auch für Roller- und Motorradfahrer und selbstverständlich in besonderem Maße nachts.
Deshalb tragen die Fußgänger Ohrstöpsel. Hotelgäste tun das am besten auch, wenn sie schlummern wollen. Denn die Stadtreinigung von Athen ist von Amts wegen verpflichtet, jeweils die erste Tiefschlafphase der Gäste gegen halb zwei Uhr nachts und die zweite Tiefschlafphase gegen halb vier Uhr morgens durch lärmendes Leeren und Herumbugsieren von Eimern und Containern zu stören.
«Die Unterbrechung der Schlafphasen bewirkt oft interessante Träume, und Träume spielten schon im antiken Griechenland eine große Rolle», lehrte die griechische Kulturministerin Dora Bakojanni. Dass es in Athen vorwiegend zu Albträumen kommt, erklärte sie mit dem hohen Schadstoffanteil der schwül-stickigen Luft. Direkt im Stadtzentrum befinden sich zahlreiche Industriebetriebe, die authentisch und im traditionellen Sinne produzieren, also ohne Rußfilter und Entgiftungsanlagen. «Tradition hat in Griechenland immer eine große Rolle gespielt.» Der Smog in der von Hügeln umgebenen Stadt wird obendrein durch die Hauptverkehrsstraßen angereichert, deren Verhältnis zu Grünflächen nach letzter Auswertung 97 : 3 beträgt; das ist olympischer Weltrekord.
Sicher hängt es auch mit diesem Umstand zusammen, dass so viele Hunde röchelnd auf der Straße liegen. Die meisten versuchen wild zu leben, schließen sich aber gern Menschen an, die freundlich zu ihnen sind; das sind ausschließlich Touristen. Denenfolgen die Hunde gern durch die ganze Stadt oder zumindest bis zur Imbissbude, noch lieber aber bis ins Hotelzimmer und am allerliebsten noch ins Auto nach Deutschland. Tipp: Die Hunde trauen sich nicht in die U-Bahn . Sie sind in Athen einst angeschafft worden, um die Katzen zu vertreiben, die Jahre zuvor ausgesetzt worden waren, die Ratten zu vertreiben. Inzwischen haben die Ratten gelernt, die Hunde zu vertreiben. Das Leben ist ein Kreislauf, lautet ein Wahrspruch der alten griechischen Philosophie.
Gibt es sonst noch etwas in Athen? Ach so, ja, die
Akropolis
. Das ist das Ensemble antiker Bauwerke auf dem Hügel im Zentrum. Viele Touristen zieht es hierher, natürlich nicht, um die säurezerfressenen Säulen und Friese zu betrachten, sondern um einmal, nur ein einziges Mal, blauen Himmel zu sehen und Atem zu schöpfen. Die Stadt ist von hier oben nicht zu sehen. Aber man hört, wo sie liegt, unmittelbar zu Füßen, unter der undurchdringlichen Dunstglocke.
Was die Bauten da oben betrifft, die sogenannten Propyläen, das Erechtheion, den Nike- und den Parthenon-Tempel, so befinden sich ihre sehenswertesten Teile nicht hier, sondern im British Museum, also in London. Als Griechenland vor zweihundert Jahren unter türkischer Herrschaft stand, kaufte der englische Lord
Weitere Kostenlose Bücher