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Alle Orte, die man knicken kann

Alle Orte, die man knicken kann

Titel: Alle Orte, die man knicken kann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dietmar Bittrich
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dem Sofa dazu. Kostenlos. «Das ist türkische Gastfreundschaft!», ermutigen wir. «Du musst nichts kaufen! Ruh dich da aus. Ich sehe mich hier draußen noch um.» Stunden später wird er eine antike Kalligraphie, eine goldene Kette oder einen Teppich gekauft haben. Oder er wird vom ständigen Abwehren und Erfinden nutzloser Entschuldigungen völlig geschafft sein.
    Bei der Besichtigung.  Es gibt den Doppeldeckerbus für Touris und die berühmte, einmal im Jahr gesäuberte Straßenbahn 38.   Doch die meisten Wege geht man zu Fuß. Aus unklaren Gründen führen fast alle Straßen bergauf und nur ganz wenige bergab. Da die Autos ihre Abgase ungefiltert auspuffen, machen sich bei Touristen bald Konditionsmängel bemerkbar, an Füßen, Beinen und Lungenflügeln. «Dagegen trinken die Türken Raki», erklären wir unserem lästigsten Mitreisenden. Wir selbst dürften nicht, wegen unseres Magens. Prost oder vielmehr «Scherefe»! Wenn wir nun noch zu Fuß die Galatabrücke überqueren und dort um die Sardellenangler balancieren, ein paar Stationen in der vollgestopften U-Bahn fahren oder ein Museum besichtigen und anschließend in die Hitze treten, wird der Raki-Nebel plus Temperatur- und Atemschock letzte Dienste tun. All die Touristen, die auf einem Platz im Gras liegen, tun das nicht zur Entspannung, merkt nun auch unser Mitreisender. Sie haben einen Kreislaufkollaps erlitten. Es ist das häufigste Touristenerlebnis in Istanbul. Kein Atemzug, sagt der Prophet, geschieht ohne den Willen Allahs. Auch nicht der letzte.
    Beim Bauchtanz.  Ob wir Istanbul nun kennen oder nicht. Eines wissen wir ganz sicher: Diese Bauchtanzshow da auf dem Plakat, die ist authentisch. Aber total. Die muss man erlebt haben. «Wir haben sie schon vor ein paar Jahren gesehen» oder «müssen früh ins Bett». Viel Spaß! Besonders in der ruhmreichen Falle
Orient-Haus
mit freiem Eintritt und Zwangsmenü. Bauchtanzshows werden in Istanbul von importierten Tänzerinnen aus Russland bestritten oder von großkalibrigen Wuchtbrummen aus Bulgarien. Das Gefühl des Endlos-Repeat beginnt nach der dritten Minute. Zur Abwechslung werden unbegabte Leute aus dem Publikum auf die Bühne gezerrt und müssen mittanzen. Das amüsiert niemanden, am wenigsten unsere zum Tanz genötigten Mitreisenden. Im Web wird das Video allerdings gern gesehen.
    Typisch Istanbul
    Kopftücher.  Um eine lästige Mitreisende loszuwerden, kann man ihr auch raten, nachts ein Taxi zu nehmen. Sie wird dann möglicherweise an einen Platz gefahren, etwas am Rand, den sie nicht kennenlernen wollte. Taxifahrer halten allein einsteigende Kundinnen vorwiegend für Prostituierte – besonders, wenn sie kein Kopftuch tragen. Eine stetige Islamisierung hat die letzten zwanzig Jahre bestimmt. Die Einwanderer aus Anatolien, religiös und ehrgeizig, prägen mittlerweile Stadt, Staat und Wirtschaft. Die Stadtteile Galata, Beyoğlu, Taksim, Şişli auf der nördlichen Landzunge zwischen Horn und Bosporus gelten noch als liberal. Doch auch hier tragen überraschend viele der jungen Frauen das Kopftuch. Nationalheld Kemal Atatürk, der markige Typ auf all den Denkmälern, hatte es einst unter viel Beifall abgeschafft. Mittlerweile ist es wieder ein Ausweis der Frömmigkeit, so ähnlich wie bei Männern der nikolausige Bart. Und es ist genauso ernst zu nehmen. Denn es signalisiert: Ich genieße Alkopops, ich liebe vorehelichen Sex, ich rauche, und für meine Eltern bin ich ein total anständiges Mädchen.
    Katzen ja, Hunde nein.  Istanbul ist gut für Katzen und ihre Fotografinnen. Weniger gut für Hunde. Der Orient, heißt es in einem alten Gleichnis, ähnele einer Katze, der Okzident einem Hund. Die Katze lässt sich von anderen aushalten, liegt den ganzen Tag herum, zwinkert mal in die Sonne, gähnt, rekelt sich, tappt ans Fenster, schaut lange auf die Straße, gähnt abermals und legt sich schlafen. Der Hund ist immer in Unruhe, läuft herum, wittert, erschnüffelt Gelegenheiten, trainiert die Muskeln, verschafft sich Gehör, will jagen. Nix da! Nur Katzen haben es gut in Istanbul. Ihnen wird Futter gestreut und Wasser vor die Hauseingänge gestellt. Worauf sie noch Appetit haben, finden sie im Abfall. Geschätzte dreihunderttausend Katzen, gut ernährt, streichen durch die Altstadt und um die Moscheen. Einige neigen zum aggressiven Betteln. Doch sie gelten als sauber und als Erdbebenwarner. Hunde hingegen sind unrein und potenziell tollwütig. Für sie gibt es ein Tierschutzgesetz, vor allem

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