Alle Orte, die man knicken kann
Vielzahl an Kuppeln auf, über die in alten Krimis Spione und Juwelendiebe balancieren. Heute schreitet man ermattend von Hof zu Hof, ahnt schon, dass nach der Palastküche auch der Harem nichts hergibt, und endet nach ausgiebiger Waffenkontrolle im Topkapi-Museum, das mit pompösem Flitter gefüllt ist. Auch ein paar Reliquien sind dort zu bestaunen: von Johannes dem Täufer der Arm, der ihm beim Schwur «Ich gebe Ihnen mein Ehrenwort» abfiel. Und von Mohammed Teile seines Mantels sowie echte graue Haare – der verehrungswürdige Bart des Propheten. Das Beste von allem sind die Aussicht und die Erleichterung, wenn man wieder draußen ist.
Dolmabahce-Palast. Als die Sultane per Inzest in die finale Debilität drifteten, ließen sie sich rasch noch einen Palast am Bosporus-Ufer bauen. Mitte des 19. Jahrhunderts wurde er voneuropäischen Barockschlössern abgekupfert und geriet genauso langweilig. Die Fremdenführer erläutern den Durchschlurfenden, wie viel Blattgold, Keramik und Kristall für die Ausstattung verballert wurden und warum der letzte Sultan drei wassergespülte Toiletten gleichzeitig benötigte. Als Highlight gilt «der größte Kronleuchter der Welt» mit 750 Glühbirnen, von denen einzelne bereits von engagierten Klimaschützern durch Krampen erledigt werden konnten.
Großer Basar. Das überdachte Gängeviertel namens Großer Basar gehört zum Schnupperprogramm «Orient – beinahe echt». Hier gibt es alles, was keiner haben will. Kreischbunte Stoffe, schnörkelige Hängelampen, behämmerte Kessel, geklontes Gemüse, klapprige Smartphones, verpilzte Gewürze, siruptriefendes Gebäck, türkische Blusen, türkische Hemden, türkische Hosen, türkische Schuhe, schartenfreie Messer zum Schächten und Spaten zum Eingraben widerspenstiger Töchter. Die von den Händlern genannten Preise lassen sich um die Hälfte drücken und sind dann nur noch doppelt so hoch wie die Preise für gleiche Ware außerhalb.
Bosporus. Ob in fünf Stunden zum Schwarzen Meer und zurück oder nur eben rüber nach Asien: Alle touristischen Bootsfahrten dienen der Bewunderung des Reichtums an schwimmenden Nesseltieren und ihrer Tentakel. Wer den Blick über die Reling hebt, kann jedoch auch am Ufer reges Leben erblicken. Wolkenkratzer jener
anatolischen Tiger
entstehen, die mit frommer Gnadenlosigkeit die Macht im Land ergriffen haben. Alte und mit nostalgischen E U-Geldern restaurierte Holzhäuser werden eingerissen, um praktischeren Betonklötzen Platz zu machen. Auf beiden Seiten, vor allem aber auf der asiatischen, drängen sich die berüchtigten steuerfreien, «über Nacht erbauten» Häuser, die gewöhnlich auch über Nacht einstürzen.
Noch bitterer. Freiwillig sieht sich niemand das
Hippodrom
an, aber einheimische Reiseleiter sind stolz auf die Reste der antiken Pferderennbahn am
Sultanahmet-Platz
. Archäologen haben sie versehentlich freigelegt. Die meisten Bürger möchten sie wieder zuschütten. Nicht weit davon befindet sich eine unterirdische Zisterne aus römischer Zeit, die aussieht wie eine geflutete Kathedrale,
Yerebatan-Saray
genannt. Zurzeit wird erforscht, warum Besucher hier immer wieder ohnmächtig werden. Liegt es am Schimmel oder am Anblick der Glibberfische im Trinkwasser oder an unbekannten uralten Keimen? Überirdisch gibt es noch ein paar ermüdende Paläste zu vermeiden, obendrein die
Süleymaniye-Moschee
, die frommen Mosaiken in der
Chora-Kirche
und das gefürchtete
Museum für türkische und islamische Kunst
.
So wird man lästige Mitreisende los
Beim Handeln. In Istanbul findet jeder Tourist schnell viele Freunde. Es sind Straßenhändler. Sie bieten echte Gürtel an, echte Schuhe, echte Badeschlappen, echte Mützen und echte T-Shirts , füllen Ayran ab, tüten Gebäck ein und wienern Obst mit ihrem Schnupftuch blank. Sie lassen sich ungern abschütteln. Sie zerren den Besucher auf eine lahmende Personenwaage, fangen dabei an, ihm die Sandalen zu putzen, und offerieren Lotterielose mit Gewinngarantie. Sie zaubern Flakons teuerster Parfüms herbei, und zwar überraschend billig, halbieren im nächsten Schritt den Preis, packen noch ein fabrikneues Handy dazu und schließlich ein Feuerzeug. «Tolle Atmosphäre!», erklären wir unserem lästigen Mitreisenden. «Probiere doch mal was aus!» Wenn ihm angesichts all der Plagiate der Schweiß auf der Stirn steht, schicken wir ihnzu dem freundlichen Herrn im Ladeneingang, der ein Tablett mit Teegläsern anbietet und einen Platz auf
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