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Alle Orte, die man knicken kann

Alle Orte, die man knicken kann

Titel: Alle Orte, die man knicken kann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dietmar Bittrich
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Elgin dem Sultan die bedeutendsten Teile der Akropolis-Reliefs ab. Vor wenigen Jahrzehnten noch haben griechische Kulturminister diese Werke zurückgefordert, seither sind die Stimmen leiser geworden. In Athen, darüber sind sich die Offiziellen mittlerweile einig, hätte keines der Stücke überlebt.

Türkei

    I stanbul ist eine Stadt an trüben Gewässern. In Nord-Süd-Richtung verläuft ein kilometerbreiter Abwasserkanal namens Bosporus. In der Antike wurde er zum Ende Europas erklärt. Inzwischen überspannt ihn eine Brücke, ein Tunnel ist im Bau, und Istanbul wirbt mit dem Slogan
Stadt auf zwei Kontinenten
. Bauten und Straßen wirken noch einigermaßen westlich, wenngleich Einwanderer aus Anatolien Wirtschaft und Stadtbild immer stärker beherrschen. Die europäische Seite wird von einer fjordartigen Bucht namens
Goldenes Horn
in einen szenigen Nordteil und einen touristischen Südteil getrennt. Dieses Horn verfügt über einen einzigartigen Reichtum an Quallen, den die Anwohner durch stetes Zufüttern von Müll aufrechterhalten. Die historischen Berühmtheiten   – Hagia Sophia, Blaue Moschee, Topkapi-Palast – liegen alle auf der südlichen Halbinsel. Hier befindet sich der Ursprung Istanbuls, das bis 1930   Konstantinopel hieß. Die hügelige Altstadt blickt auf einen Ableger des Mittelmeeres, das Marmarameer. An dessen Färbung erkennen geschulte Anwohner, wann wieder ein russischer Tanker der Leichtbauweise zerbrochen ist und wie viel Öl er geladen hatte. Seismologen sagen der Stadt ein mächtiges Erdbeben binnen zweier Jahrzehnte voraus. Man solle vorher hinfahren.
    Warum man es auch lassen kann
    Istanbul ist vor allem eine Großstadt. Ein enges, staubiges, mit Lärm und Abgasen gefülltes Knäuel von Sackgassen. Auf dem Galataturm am Nordufer des Quallenhorns gibt es eine Webcam, die kaum Bilder sendet, weil die Dunstglocke bereits in sechzig Meter Höhe zu dicht ist. Wer sich selbst hinaufbemüht, kann auf knappem Raum aneinandergepferchte Häuser erspähen. Die meisten scheinen gerade zu verfallen oder abgerissen zu werden, oder sie sind nie fertig geworden. Zwischen ihnen staut sich der Verkehr, für den die schmalen Gassen nicht gebaut wurden. Und überall wimmeln Menschen, die so unterschiedlich aussehen, dass es jeden Touristen verwundert, dass er sofort als Tourist erkannt und von Händlern umworben wird. Das passiert natürlich besonders rund um die sogenannten Sehenswürdigkeiten.
    Hagia Sophia.  Dieser Kuppelbau sieht aus wie eine Moschee. Doch es ist umgekehrt: Die
Heilige Weisheit
war die erste große Kirche des Christentums und wurde zum Vorbild für große Moscheen. Als Konstantinopel 1453 von osmanischen Truppen geplündert wurde, blieb das tausend Jahre alte Gebäude stehen. Es wurde zur Moschee umgewidmet und mit Minaretten umstellt. Und eine Moschee blieb es, bis der unsentimentale Republikgründer Atatürk es vor knapp achtzig Jahren zum Museum erklärte. Im düsteren Inneren führt eine gewundene Rampe aufwärts zu überputzten Gemälden und grämlichen Mosaiken. Den besten Blick hat man, wenn man ein paar Postkarten anschaut. Vor Ort stören Gerüste den Blick, und zwar immer. Ein Arbeiter ist nie darauf zu sehen. Vermutlich sollen Ständer und Balken nur die Kuppel abstützen, die nach Prophezeiungen orthodoxer Gelehrter beim nächsten Beben den ganzen Dark Room unter sich begraben wird.
    Blaue Moschee.  In Sichtweite der Hagia Sophia, an leibhaftigen sechs Minaretten zu erkennen, steht die Sultan-Ahmed-Moschee, die
Blaue
genannt, weil blaue Fliesen und blaue Fensterscheiben zu bestaunen sind – und viele blaue Zehen. Denn hier muss man die Schuhe ausziehen. Diese Moschee ist in Gebrauch. Der Eindruck, in den Nischen oder Gewölben lagere Ziegenkäse zur Reifung, täuscht. Der Duft geht von den zahllosen Socken und Füßen aus, die hier nach tagelanger Pilgerschaft zum ersten Mal gelüftet werden. Unter der Kuppel hängen ausgeblasene Straußeneier. Interessierte Touristen erfahren, es handele sich um ein natürliches Mittel der Spinnenvertreibung; die Gelegenheit zum Erwerb solcher Eier ergebe sich später. In Wahrheit handelt es sich um Schmuck, der das Auge Gottes symbolisiert. Spinnen, besonders die von Kleinasien einwandernden, lieben Straußeneier.
    Topkapi-Palast.  Nicht aus Bescheidenheit, sondern aus Furcht vor Erdbeben bauten die osmanischen Herrscher nicht hoch. Die meisten Gebäude dieses Palastes sind zweigeschossig. Er fällt von außen nur durch eine

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