Alle Orte, die man knicken kann
Mumba Devi ist die Maria von Bombay, die Muttergöttin der Stadt. Hinduistische Tempel sind am Turm zu erkennen, der einem geblähten Obelisken gleicht oder einer an der Nase emporgezogenen Pyramide. Der Turm symbolisiert den mythischen Berg Meru, das Zentrum des Universums, das sich durch glückliche Fügung in Indien befindet, allerdings noch nicht geortet wurde. Das Tor des Tempelbezirks wird von Händlern gesäumt oder vielmehr versperrt. Sie möchten Blüten von Jasmin, Lotus und Ringelblumen absetzen, die nicht lange haltbar sind, in frischem Zustand aber bei der Göttin Wohlgefallen hervorrufen. Ebenso gern hat Göttin Mumba die feilgebotenen Zitrusfrüchte und Kokosscheiben. Im Tempelhof fallen orientierungslose Kühe auf sowie orange gekleidete Sadhus. Das sind Familienväter, die sich dafür entschieden haben, lieber einer fernen Göttin zu dienen, als den Forderungen ihrer Ehefrau nachzukommen. Nun leben sie tagsüber asketisch und bitten um Almosen, akzeptieren allerdings keine Münzen, nur Scheine. Die steinerne Mumba-Statue, auf Silber angerichtet und bunt garniert, wird in einem gefliesten Raum ausgestellt, den Gläubige barfuß betreten. Ungläubige aufgepasst: Wer im Tempelbezirk fotografiert, ist willkommen. Sofern er beim Fotografieren jedoch der Göttin den Rücken zudreht, wird er im nächsten Leben in die Kaste der Unreinen geboren und muss die Latrinen des Tempels leeren. Im ungünstigsten Fall muss er das sogar auf der Stelle.
Malabar Hill. Auf Hügeln und Bergen wohnt in Indien verlässlich Gott Shiva, gern in unmittelbarer Nähe seiner wohlhabendsten Verehrer. Neben Tempeln schmücken also Villen den hügeligen Malabar-Bezirk, der eine Art Beverly Hills von Mumbai darstellt. Westliche Besucher möchten hier in fünfzig Meter Höhe über derStadt am liebsten bis zur Abreise ausharren, und zwar in einer der von Bollywood-Stars bewohnten und streng bewachten Residenzen. Doch gnadenlose Reiseführer schreiben Sightseeing vor. Also geht es in den Walkeshwar Temple, eine Sammlung von Andachtsstätten, die zu groß geratenen Schatzkästchen gleichen. Der älteste Tempel wurde von einem durchreisenden Gott persönlich gegründet. Es war Gott Rama, der hier auf seinem Flug nach Sri Lanka einen Pfeil abschoss. Wo der Pfeil den Boden durchbohrte, sprudelte eine Fontäne empor. Davon ist heute das Banganga Reservoir geblieben, ein eingefasster Teich, in dem keine Wäsche gewaschen werden darf, denn er versorgt die bewachten Apartmenthäuser mit Trinkwasser. Auf den umgebenden Stufen sitzen Touristen und geben vor, sie würden dem Reiseleiter zuhören. Als Nächstes droht ihnen der hundert Jahre alte Jain-Tempel. Der wirkt heller, weil er teils mit Marmor verkleidet ist, teils mit grellbunten Figuren aus der Historie der Jains. Anders als die meisten Hindus verehren die Jains lieber kluge Lehrer als ferne Götter. Sie sind der Ansicht, man müsse sich selbst um die Erlösung kümmern – vorrangig im Berufsstand der Kaufleute. Sie sind wohlhabend, leben vegetarisch und lassen alle Tiere leben, Moskitos, Kakerlaken und Bandwürmer eingeschlossen. Nicht viel weiter, immer noch auf dem Malabar Hill, stehen die Towers of Silence. Sie gehören den vor tausend Jahren aus Persien eingewanderten Anhängern des Zarathustra. Die schweigenden Türme dienen der Luftbestattung. Die Parsen mögen weder Begräbnis noch Feuer- oder Seebestattung. Sie bahren ihre Toten in der Höhe auf und hoffen, dass Geier sich ihrer annehmen. Die Parsen zählen zu den oberen Zehntausend der Stadt, auch Dirigent Zubin Mehta und Freddie Mercury (eigentlich Farrokh Bulsara) gehörten dazu. Deshalb sind sie auch in der Lage, Geld aufzubringen für neue Sonnenkollektoren, die die Luftbestattung beschleunigen sollen.Denn Geier sind in Mumbai ausgestorben, keineswegs aus Mangel an verfügbarer Nahrung, der Tisch ist reich gedeckt – sondern an einer Reihe hochwirksamer Umweltgifte. Bleiben noch der Kamala Nehru Park, ein bis zum Trübsinn abgespeckter Vergnügungsgarten, der Priyadarshini Park zum Überfallenwerden beim Joggen und die sogenannten Hängenden Gärten von Mumbai, für Einheimische die Ferozeshah Mehta Gardens, bescheidene Terrassenanlagen zum Meer hin, deren einziger Vorzug der Ausblick ist. Sogar der Friedhof auf dem Malabar Hill hat Meerblick; hier sind etliche Heilige und Gurus verbuddelt, etwa die im Westen zu Ruhm gelangten Ranjit Maharaj und Siddharameshwar Maharaj, die testamentarisch eine Wiedergeburt in Indien
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