Alle Orte, die man knicken kann
Grabbeigaben fand man beim Durchwühlen ausgewählter Grüfte. Gleich hinterm Tor des Gräberfeldes sind entlang einer Allee auch noch steinerne Gartenzwerge der Ming-Zeit zu bestaunen: Beamte, Kamele, Elefanten, Würdenträger, Pferde,Löwen, Fabeltiere, Generäle. Die Terrakotta-Armee befindet sich übrigens entgegen den Mutmaßungen Mitreisender keineswegs hier, sondern ein paar hundert Kilometer entfernt. Oder sie ist auf Tournee. Aber man kann Nachbildungen an jedem Ort kaufen, an dem man aus dem Bus steigt.
Sommerpalast. Weil es in Peking entweder sehr heiß ist (bis vierzig Grad plus) oder sehr kalt (bis vierzig Grad minus) und weil es in der übrigen Zeit meistens regnet, verließen die Herrscher den Palast durch die Hintertür («das Nordtor»), um den angenehmeren Teil ihrer Zeit im Hügelland zu verbringen. Die dort errichtete Residenz wurde
Yiheyuan
genannt, wörtlich: «Garten des harmonischen Zeitvertreibs». Der erste Sommerpalast, vor dreihundert Jahren errichtet, diente dem Vergnügen des Kaisers unter anderem durch die intensive Folterung englischer und französischer Gesandter. Unharmonische anglofranzösische Truppen rückten daraufhin zur Einäscherung des Palastes an. Der zweite Palast, aus den Ruinen des ersten erstanden, schloss einen künstlichen See ein, auf dem die Kaiserinwitwe Marineübungen beizuwohnen wünschte. Sie beobachtete die Gefechte von der Reling eines eigens erbauten Schiffes aus, das seeuntüchtig blieb, weil es aus Marmor errichtet wurde. Heute tuckern Touristen in Drachenbooten übers Wasser, fotografieren geschwungene Brücken und Teepavillons und fühlen sich an englische und deutsche Parks erinnert, deren Schöpfer und Schüler hier tatsächlich tätig waren. Wörlitz, Branitz, Muskau standen Pate. Lediglich die chinesischen Mücken sind überzeugender.
Himmelstempel. Wenn der Himmelstempel auf dem Programm steht, weiß der informierte Gast: Es geht zu Ende mit den Sehenswürdigkeiten in und um Peking. Und doch wachen müde Touristen noch einmal kurz auf, wenn der
Tiantan
ins Blickfeld gerät. Den kennen sie doch irgendwoher? Diesen dicken Turm mit demdreistufigen Dach und den Terrassen davor? Richtig, er ist auf den Reiseführern abgebildet. Endlich lassen sich mal Foto und Original vergleichen! Tatsächlich ist das schon das beste Argument, den Tempel zu besuchen. Unkundige Wanderer gehen an dem hölzernen Rundbau vorbei, weil sie ihn für ein schäbiges Getreidesilo halten. Betagte Speicher sehen in China so aus, und in diesem Himmelssilo wurden wahrhaftig Ernteerträge gelagert. Vor allem jedoch wurde hier um gute Ernte gebetet, einmal im Jahr von den Kaisern persönlich. Besonders von denen der Ming-Dynastie und den Opiumkaisern der Qing-Dynastie. Diese beiden Herrscherhäuser teilten sich die sechshundert Jahre vor Mao. Heute spendet man im Himmelstempel eine überflüssige Münze, um dafür zum Lohn Segen und Reichtum zu erwarten. Immer wieder sehenswert an der umgebenden Rundmauer: Touristen, die ins Gestein flüstern. Es gibt hier denselben Effekt, der überall auf der Welt in Echo-Galerien und Flüsterbögen vorgeführt wird: Was an einer Stelle leise in eine Rundung oder Kuppel gesprochen wird, kann gegenüber mit etwas Mühe gehört werden. Für viele ist das der unbestreitbare Höhepunkt der China-Reise.
Lamatempel.
Yonghe Gong
heißt dieser Tempel, was gewohnt schönfärberisch «Palast der ewigen Harmonie» heißt. Es ist ein tibetisch-buddhistischer Tempel, dem immerhin zweihundert Jahre Harmonie beschieden waren, bevor die Mönche zu Schmarotzern und Blutsaugern erklärt und verjagt wurden. Das ist mittlerweile auch schon wieder fünfzig Jahre her, und inzwischen finden junge Chinesen es cool, alte Gebetsmühlen zu drehen, sich vor lackierten Buddhas zu verneigen (es gibt welche für Gesundheit, Reichtum, Liebesleben, Weisheit, günstige Reinkarnation, Karriere, Lottoglück und gute Verdauung), demütig zu knien und dabei Bündel von Räucherstäbchen zu verkokeln. Der Tempel ist von außen weniger an seinen geschwungenen Dächern zu erkennenals an der heiligen Rauchwolke darüber. Kultfigur der Anlage ist ein gut zwanzig Meter hoher Buddha, der aus einem einzigen Baumstamm geschnitzt wurde. Der spezielle Sandelholzstamm musste im Winter hundert Kilometer über vereiste Wege gezogen werden, was nicht ohne tödliche Unfälle abging. Alle Umgekommenen sollen aber extrem vorteilhaft wieder inkarniert worden sein. Insider-Tipp: Das gilt für alle,
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