Alle Rache Will Ewigkeit
und meinen Studienplatz an der Universität. Ich hatte mit Jenna zu lange am Rande der Gesellschaft gelebt, als dass ich mich irgendwelchen romantischen Ideen über die Flucht von zu Haus hingeben wollte. Ich wusste, wenn ich das tat, würde es das Studium an einer guten Uni nie geben. Ich würde nur ein weiteres verkorkstes Straßenkind sein. Keiner meiner Träume würde in Erfüllung gehen. Mein zukünftiges Leben würde genauso beschissen sein wie meine Kindheit, höchstens mit einer anderen Nuance.
Es gab nicht einmal jemanden, mit dem ich sprechen konnte. Eigentlich hatte ich keine Freundinnen, weil ich nie etwas machen durfte außer den Dingen, die mit der Kirche zu tun hatten. Und die anderen Teenager in der Kirche ließen mich an Selbstmord denken.
Das Einzige, an das ich mich halten konnte, war, dass es noch fast drei Monate bis zu meinem Geburtstag waren. Das war ein taktischer Fehler meines Stiefvaters gewesen. An seiner Stelle hätte ich gewartet bis zum Morgen nach meinem sechzehnten Geburtstag. Ich hätte mich daran gehindert, zur Schule zu gehen, und in den Keller gesperrt, bis ich Vernunft annahm.
Manchmal frage ich mich, ob ich meine Rücksichtslosigkeit im Geschäftsleben von ihm gelernt habe.
Charlie stieß einen leisen Pfiff aus. »Hör dir das an«, sagte sie und las Maria die letzten zwei Absätze vor. »Sie kämpft mit ganz schön harten Bandagen, oder? Ich glaube, das ist bis jetzt einer der herausragenden Sätze in dem Buch. Ehrlicher als fast alles andere. Wir können nicht anders. Selbst wenn wir auf der Hut sind, rutscht die Wahrheit durch.«
»Meinst du, das ist ein Hinweis auf einen Mord?«, fragte Maria skeptisch.
»Nein, das allein nicht. Offensichtlich nicht. Aber es deutet darauf hin, wie sie reagiert, wenn sie herausgefordert und in die Enge getrieben wird. Sie denkt nicht nur an ihren Fluchtweg. Sie überlegt, wie viel besser sie von vornherein die Drohung konstruiert hätte. Sie ist jemand, der es genießt, etwas auszutüfteln, um seinen Willen durchzusetzen. Und der es nicht zulässt, dass man ihn in einen Käfig steckt.« Charlie blätterte zur nächsten Seite um. »Oder lass es mich anders sagen. Sie ist jemand, der sich nur in einen Käfig sperren lässt, um in aller Ruhe auszuhecken, wie er alle anderen betrügen kann.«
»Jetzt magst du sie nicht mehr, oder?«, neckte Maria.
»Kein bisschen«, sagte Charlie. »Aber ich finde sie faszinierend. Und ich kann nicht aufhören zu lesen.«
Nach Jennas großer Ankündigung waren die Dinge zu Hause ziemlich angespannt. Wenn ich nicht in der Schule war, blieb ich die meiste Zeit in meinem Zimmer. Ich weigerte mich, in den Gottesdienst zu gehen, was hieß, dass ich in meinem Zimmer eingeschlossen wurde. Ich kann nicht behaupten, dass mich das störte. Ich wusste, es wäre sinnlos zu versuchen, meinen Stiefvater umzustimmen, aber ich hatte noch eine schwache Hoffnung, dass vielleicht ein kleiner Winkel im Herzen und im Kopf meiner Mutter der Gehirnwäsche entgangen sein könnte.
Diese schwache Hoffnung wurde im Lauf der Woche stärker. Jennas Gedanken waren eindeutig nicht ganz so eingleisig wie sonst. Am Mittwoch brannte ihr der Frühstückstoast an, und am Donnerstag vergaß sie das Kraut für das Mittagessen mit Räucherschinken und Kartoffelbrei. Zweimal kam ich in die Küche, während sie dastand und ins Leere starrte, statt wie sonst Geschirr zu spülen oder Arbeitsflächen zu wischen. Mehr als einmal musste ich sie anreden, bis sie auf mich aufmerksam wurde. Sie war weit weg. Die Überzeugung drängte sich mir auf, dass sie noch einmal über die Pläne meines Stiefvaters für mich nachdachte.
Ich beschloss, dass ich mit ihr reden müsste. Aber nicht im Haus oder an irgendeinem Ort, der mit der Kirche zu tun hatte. Es sollte an einem Ort sein, der sie vielleicht sogar an unser altes gemeinsames Leben erinnern würde. Sicher, sie hatte mich meistens nicht beachtet, aber es war eine freundliche Vernachlässigung gewesen. Jedenfalls schien mir das damals so. Ich zerbrach mir den Kopf, und dann hatte ich eine Idee.
Eines der wenigen Dinge, bei denen sich Jenna von ihrem Mann nicht hineinreden ließ, war der Einkauf von Lebensmitteln. Sie wandte sich als eine der ersten Personen, die ich kannte, gegen den Vormarsch der Supermärkte und weigerte sich, frische Ware dort zu kaufen. Ihr Mann klagte, sie sei extravagant und es sei billiger, zum nächsten großen Supermarkt zu gehen, als einmal die Woche zum Grainger Market in
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