Alle Rache Will Ewigkeit
sich seinem Ende, deshalb wählte ich einen Freitag. So würden wir alles organisieren können, während mein Stiefvater bei der Arbeit war. Wir konnten zusammenpacken und verschwinden, bevor er nach Haus kam. Dann würden wir das Wochenende haben, um alles zu regeln, und ich konnte am Montag zur Schule gehen, als sei nichts geschehen.
Ich weiß, es klingt allzu simpel, wenn man jetzt darauf zurückblickt. Aber ich hatte keine Vorstellung von der Komplexität der Beziehungen unter Erwachsenen. Wie konnte ich das auch haben? Ich hatte nie eine Gelegenheit gehabt zu lernen, wie die meisten Menschen eine Beziehung anknüpfen. Was mich anging, so war es offensichtlich, was geschehen musste.
Ich tauchte am Freitagmorgen beim Projekt auf, aber niemand war da. Alle freiwilligen Helfer waren fort und die Wohnungen verschlossen. Es gelang mir, den Hausmeister zu finden, und zu meinem Verdruss sagte er mir, die Arbeit sei am Tag zuvor abgeschlossen worden, eine Woche früher als geplant. Die meisten Bewohner würden Ende nächster Woche wieder da sein, alle außer dreien, die beschlossen hätten, dass sie in ein Heim ziehen wollten. Er redete einfach weiter, als ob mich das etwas anginge. Dabei interessierte mich gar nichts, außer dass mein Plan gerade in die Binsen gegangen war.
»Und Rinks?«, fragte ich.
»Der Holländer? Er freut sich sehr, weil er vor seinem nächsten Projekt unten in York eine Woche frei hat. Er sagte, er wolle nach Holland zurückkehren, um seine Familie zu sehen.«
Plötzlich war ich ganz aufgeregt. Sie mussten beschlossen haben, doch zusammen loszuziehen. Jenna würde daheim sein, ihre Taschen packen und auf mich warten, bis ich von der Schule kam, damit wir drei uns nach Holland aufmachen konnten. Es war sogar besser, dass sie die Entscheidung unter sich getroffen hatten, ohne dass ich sie vorher umständlich überzeugen musste.
Ich eilte nach Haus und stellte mir auf dem Weg mein neues Leben vor. Wir würden ein großes Haus am Kanal haben. Oder auf einem Boot wohnen wie in Norfolk. Ich würde mit dem Rad zur Schule fahren und echte Gemälde von van Gogh sehen. Ich hüpfte förmlich die Straße entlang. In Holland würden wir eine glückliche Familie sein, und ich würde den verflixten Calder nie wiedersehen.
Aber gründlicher hätte ich mich gar nicht täuschen können. Die Person, die ich nie wiedersah, war meine Mutter.
»Oh mein Gott«, stöhnte Charlie aus tiefstem Herzen. »Das hab ich nicht kommen sehen. Ich meine, ich ahnte irgendwie, dass ihre Mutter sie und den Stiefvater verlassen würde, aber wie sie das erzählt, mein Gott, es ist wirklich wie ein Schlag in den Magen.«
»Was ist passiert?«
»Die Mutter tat sich zusammen mit einem alten Freund aus den Tagen, bevor sie Jesus fand. Und sie gingen weg und ließen Jay zurück. Sie sagt, sie hat ihre Mutter nie wiedergesehen.«
»Und das war’s? Da ist das Buch zu Ende? Die Mutter verschwindet und lässt sich nie wieder blicken?«
Charlie blätterte weiter. »Nicht ganz. Es gibt ein kurzes Nachwort. Wie diese Texte am Ende von Filmen, weißt du. ›Jimmy Brown zog nach Buffalo und eröffnete einen Tätowierladen. Jane Brown gab ihre Arbeit mit behinderten Papageien auf und heiratete einen Rabbi, der ein Albino war.‹«
»Du und deine groteske Phantasie«, sagte Maria. »Was ist denn nun aus ihnen geworden?«
Charlie blätterte um. »Willst du, dass ich es dir vorlese?«
»Ja, selbst werde ich es bestimmt nicht lesen.«
»›Jenna Calder verließ Mann und Kind und nahm einen einzigen Koffer mit, in dem unter anderem ein gerahmtes Foto ihrer Tochter im Alter von sechs Jahren war. Obwohl die Polizei Nachforschungen anstellte, hat niemand sie jemals wieder gesehen oder von ihr gehört.
Rinks van Leer kehrte nach einem einwöchigen Urlaub aus Amsterdam zurück, um ein Renovierungsprojekt in York zu leiten. Er behauptete, er hätte keine Ahnung, wo Jenna sei. Auch heute leitet er noch große Projekte in Mittelamerika und Schwarzafrika.
Howard Calder verbrannte Jennas Kleider und ihre anderen Habseligkeiten und sprach nie mehr ihren Namen aus. Er lebt immer noch in dem Haus der Familie in Roker. Weder ließ er sich scheiden noch hat er wieder geheiratet.
Jay Stewart wurde von ihrem Geschichtslehrer und seiner Frau aufgenommen. Sie wohnte bei ihnen, bis sie die Reifeprüfung abgelegt und ihre Aufnahmeprüfung für die Universität in Oxford hinter sich hatte. Sie schrieb sich am St. Scholastika College in Oxford für das
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