Alle Rache Will Ewigkeit
Corinnas Lektion beendet war, hatte Charlie alles so gut wie überhaupt möglich einstudiert. Sie setzte sich auf den Stuhl gegenüber ihrer früheren Dozentin und bemerkte dabei, dass Corinna in den neun Tagen seit ihrem letzten Zusammentreffen offenbar abgenommen hatte. Angst um ihr Kind mochte das bei einer Frau wohl bewirken, dachte Charlie.
Sie verschwendeten keine Zeit mit Smalltalk. Corinna kam sofort zur Sache. »Hast du Neuigkeiten für mich?«
Charlie nickte. »Ich habe in der letzten Woche viel recherchiert. Mit vielen Leuten geredet und vieles herausgefunden. Es war eine interessante Erfahrung.«
»Ich bin sicher, dass es das war. Ich vermute, du hast eine Gabe dafür, Interessantes aufzuspüren, Charlie. Aber hast du es geschafft, genug Beweise zu finden, um Magda zu überzeugen?« Corinna beugte sich auf ihrem Platz vor, die Hände auf dem Schoß verkrampft. Die letzte Person, die Charlie so angespannt und nervös gesehen hatte, war ein pädophiler Priester gewesen, der darauf gewartet hatte, dass der Himmel auf ihn herabfiele.
»Alle Beweise, die ich habe, deuten in eine Richtung. Du wirst das nicht mögen, Corinna, aber Jay Macallan Stewart ist keine Serienmörderin.«
Corinna fuhr sich mit der Hand über das Gesicht, als würde sie ihren Ohren nicht trauen. »Du irrst dich«, sagte sie. »Du kannst nicht richtig nachgeforscht haben. Der Tod folgt ihr auf dem Fuß wie ein Hund. Jedes Mal, wenn jemand zwischen Jay Stewart und dem steht, was sie will, stirbt der Betreffende einfach.« Sie klang bestimmt, ihre Haltung war so, wie Charlie sie aus ihrer Studienzeit in Erinnerung hatte: die der Lehrenden, die ein fundiertes Verständnis ihres Faches hat und sich über ein Gegenargument freuen, aber selten ihre eigene Begründung aufgeben würde. Charlie wusste, ihre einzige Zuflucht war ein schlüssiges und stichhaltiges Argument.
»Ich weiß«, sagte sie. »Aber so ist es nun mal. Man kann mit der Intuition auch mal falschliegen. Pass auf, ich verlange nicht, dass du mir das einfach glaubst. Zunächst einmal habe ich nicht allein daran gearbeitet. Ein Freund von mir, ein Detective bei der Met, hat mir mit Information geholfen, an die für einen Nichtpolizisten schwer ranzukommen ist. Er hat auch Fertigkeiten, die mir abgehen. Er gab mir nützliche Tipps und zeigte mir auf, wie ich vorgehen konnte.«
»Sehr einfallsreich von dir«, kommentierte Corinna knapp. »Und ich danke dir dafür. Ich habe mich nicht darin getäuscht, dass du die richtige Person für diese Aufgabe bist. Eine Frau mit den richtigen Kontakten.«
»Aber ich bin auch Wissenschaftlerin. Das bedeutet, ich glaube das, was das Material mir sagt, selbst, wenn es gegen meine eigene Theorie der Geschehnisse verstößt. Lass mich die Todesfälle durchgehen, von denen du mir erzählt hast. Zuerst Jess Edwards. Nun, du sagst, du hast Jay sehr früh am Morgen von Jess’ Tod auf der Wiese gesehen. Du warst damals überzeugt, obwohl es noch dunkel und sie ziemlich weit entfernt war.« Corinna wollte etwas sagen, aber Charlie hielt die Hand hoch. »Bitte Corinna, lass mich ausreden.«
Lass mich dich anlügen und sehen, ob du darauf hereinfällst.
»Ich habe Jays damalige Freundin Louise Proctor ausfindig gemacht.«
»Wie hast du das geschafft? Die College-Verwaltung hat keine aktuelle Adresse für sie. Sie hat alle Kontakte zum College abgebrochen, nachdem sie weggegangen war. Ist ja auch kein Wunder. Ein schutzloses Mädchen, dem Jay Stewart so sehr nachstellte, dass sie versuchte, sich umzubringen.«
Charlie war ziemlich sicher, dass es so nicht gewesen war, aber sie bewegte sich hier auf recht unsicherem Terrain, da sie so gut wie nichts über Jays frühe Liebesbeziehungen wusste. »Das ist der Vorteil, wenn man jemanden von der Polizei auf seiner Seite hat. Gesetzestreue Leute sind nicht so schwer aufzuspüren, wenn man Zugriff auf behördliche Daten hat. Ich sprach also mit Louise. Sie verspürt keinerlei Loyalität gegenüber Jay. Wie du glaubt sie, dass Jay für die unglücklichste Zeit ihres Lebens verantwortlich ist. Es gibt also keinen Grund, weshalb sie für Jay lügen sollte. Stimmst du dem zu?«
Corinna senkte das Kinn zu einem widerwilligen Nicken. »Wahrscheinlich nicht.«
»Laut Louise war Jay an dem Morgen, als Jess starb, mit ihr bis nach sieben Uhr im Bett. Zu der Zeit waren die Rudersportlerinnen schon unten am Bootshaus, und Jess’ Leiche war gefunden worden.«
»Das ist unmöglich. Wie kann sie so sicher sein? Wie
Weitere Kostenlose Bücher