Alle Rache Will Ewigkeit
eine gute Strategie, um den Verdacht von sich abzulenken.«
»Aber welches Motiv hätte sie haben können?«
Nick zuckte mit den Schultern. »Ich habe keine Ahnung. Aber ich wette, wir könnten eine Handvoll zusammenbekommen, wenn wir uns hinsetzten und ein bisschen brainstormen würden.«
»Es ist sehr unwahrscheinlich«, entgegnete Charlie.
»Das sind die Beweise gegen Jay auch«, meinte Nick müde.
»Wie steht’s mit den anderen Morden?«
Er verzog das Gesicht. »Na ja, ich habe mir Gedanken gemacht wegen ihrer Sekretärin, Anne Perkins. Sie arbeiten schon lange zusammen, und Anne verhielt sich sehr defensiv in Bezug auf Jay. Und sie hatte sehr schnell das Alibi zur Hand. Dadurch hatte ich übrigens auch Einblick in ihren Terminkalender für die fragliche Woche. Es sieht aus, als hätte sie die meiste Zeit allein gearbeitet. Niemand, der bezeugen könnte, wo sie tatsächlich gewesen ist.«
Charlie lachte leise. »Und deshalb glaubst du, dass sie rasch nach Spanien flog, Ulf Ingemarsson ermordete, seine Arbeitsergebnisse mitbrachte und bei Jay ablieferte, so wie ein Hund die Zeitung bringt? Mensch, Nick. Diese Anne Perkins muss ja einen tollen Eindruck auf dich gemacht haben.«
Nick setzte ein ironisches Grinsen auf. »Ja, ich weiß, dass es weit hergeholt ist, aber Jay scheint wirklich starke Reaktionen auszulösen. Obwohl sie kaum jemand als Schwiegertochter haben will, gibt es doch Leute, die ihr gegenüber außerordentlich große Loyalität an den Tag legen. Sie hat fast ein ganzes Jahrzehnt eng mit Vinny Fitzgerald und Anne Perkins zusammengearbeitet. Bei dieser Art Arbeit bleiben Angestellte nicht so lange bei der Stange, wenn sie einander nicht verbunden sind.«
Charlie schüttelte den Kopf, denn sie wollte ihm nicht glauben. »Und Philip?«
»Vielleicht waren es doch Sanderson und Barker. Im Allgemeinen finde ich das Gespür von Geschworenen ganz gut, Charlie.«
»Und all diese Mörder gruppieren sich ganz zufällig um Jay Stewart?« Sie schüttelte wieder den Kopf. »Viel zu viele Zufälle, Nick. Du spielst hier den Advocatus Diaboli. Du glaubst all das nicht wirklich. Aber ich könnte deine Ideen nutzen, um Corinna ein bisschen Sand in die Augen zu streuen.« Sie stand auf. »Ich muss sie jetzt besuchen und ihr sagen, dass ich nichts für sie tun kann.«
»Tut mir leid«, sagte Nick. »Wirklich. Und du hast recht. Ich hab nur versucht, dich aufzumuntern mit meinen verrückten Ideen. Wozu immer es auch gut sein mag. Ich glaube, Corinna könnte recht haben. Zu vieles spricht gegen Jay Macallan Stewart, als dass man es als Pech abschreiben könnte. Ein Kerl, der vier Ehefrauen bei Vorfällen wie diesen verloren hätte, säße in einem Verhörraum. Aber niemand verdächtigte sie damals, was bedeutet, dass niemand nach den Beweisen suchte, die sie damit in Verbindung gebracht hätten.«
»Lass das«, sagte Charlie deprimiert. »Hör auf damit, Nick.«
»Warum? Was hab ich gesagt?«
»Es geht um das, was du nicht gesagt hast, um die stillschweigende Folgerung. Wir können sie wegen der Verbrechen in der Vergangenheit nicht drankriegen. Wenn wir sie überführen wollen, müssen wir warten, bis sie es wieder tut.« Ihre Stimme zitterte, und Tränen traten ihr in die Augen. »Begreifst du das nicht? Im Prinzip haben wir hier nur eine neue Variante des Falles Bill Hopton.«
9
C harlie saß auf demselben harten Stuhl, auf dem sie vor zwanzig Jahren gesessen hatte. Damals hatte sie auf ihre erste Tutorenstunde bei Corinna Newsam gewartet. Jetzt wartete sie darauf, dass irgendeine Studentin mit ihrer Angelegenheit fertig würde, damit Charlie versuchen könnte, Corinna von ihrem unheilvollen Kurs abzubringen. Die ganze Zugfahrt von London bis Oxford hatte sie sich überlegt, was sie sagen sollte.
Einfach bei der Wahrheit zu bleiben war in diesem Fall keine Option. Dabei spielte es keine Rolle, dass Charlie eigentlich einer Meinung mit Corinna war. Tatsächlich war das für sie die gefährlichste Position, die sie in einer Unterhaltung mit ihrer früheren Dozentin einnehmen konnte. Obwohl Charlie nicht ganz glauben konnte, dass Corinna fähig wäre, Jay zu töten, gab es doch Risiken, die man nicht eingehen durfte. Entweder musste Charlie Corinna genug Beweise – die sie nicht hatte – vorlegen, um damit zur Polizei gehen zu können, oder sie musste für Jays Unschuld plädieren. Da es nicht genug Beweise gab, hatte Charlie keine Wahl. Sie würde Jay schützen müssen. Und das hieß lügen.
Bis
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