Alle Rache Will Ewigkeit
haben. Was um sie herum geschah, war wirklich reiner Zufall. Du hast dich geirrt an dem Morgen, als Jess Edwards starb, und das hat deine Meinung zu allem, was seit damals in Jays Umgebung passiert ist, negativ beeinflusst. Ich weiß, es ist schwierig, all diese Mutmaßungen wieder aufzugeben, aber du musst akzeptieren, dass dein Gehirn dich hereingelegt hat. Die Wahrheit ist, dass sie es vor all diesen Jahren nicht verdient hatte, rausgeworfen zu werden. Und auch jetzt verdient sie es nicht.«
Charlie begriff plötzlich, dass sie zu sehr in Fahrt geraten war. Fast wäre sie auf ihre eigene vorgespielte Aufrichtigkeit hereingefallen. Nun verachtete sie sich geradezu für ihre Fähigkeit, etwas überzeugend darzustellen, das sie selbst nicht für wahr hielt.
Corinna starrte sie mit glasigen Augen an. »Ich war so sicher«, sagte sie. »Und alles war so einleuchtend.«
»Ich versteh dich«, antwortete Charlie sanft. »Aber wenn du diese erste Gewissheit wegnimmst, siehst du doch, dass es keinen wirklichen Grund dafür gibt, Jay für die anderen Todesfälle verantwortlich zu machen.«
»Ich muss gründlich nachdenken«, erwiderte Corinna langsam, klang aber unbefriedigt. »Nach dem, was du mir gesagt hast, ist es schwierig, an meinem inneren Bild von Jay als boshafter Psychopathin festzuhalten. Aber ich nehme an, um Magdas willen sollte ich dankbar sein, dass sie nicht das ist, wofür ich sie hielt.«
»Das solltest du«, bestätigte Charlie und erhob sich. »Und du musst die Verbindung wiederherstellen. Offensichtlich hängt Magda sehr an ihrem Platz in der Familie. Bestrafe sie nicht dafür, dass sie so ist, wie sie ist.«
Charlie ging durchs College zurück, und bei jedem Schritt verstärkte sich ihre deprimierte Stimmung. Sie hatte Corinna davor bewahrt, drastische und zerstörerische Schritte zu unternehmen, aber das hatte seinen Tribut von ihr gefordert. Sie hatte wider besseres Wissen argumentieren müssen, und all das, weil Jay Stewart schlau genug gewesen war, eine Serie perfekter Morde zu begehen. Charlie erinnerte sich, dass sie einmal eine Radiosendung gehört hatte, in der ein Moderator eine Krimiautorin fragte, ob sie jemanden kenne, der einen perfekten Mord begangen habe. Die Autorin sagte: »Der perfekte Mord ist der, von dem niemand glaubt, dass es ein Mord ist.« Jay hatte das nicht jedes Mal ganz geschafft, aber es war ihr gelungen, ihre Methoden so stark abzuwandeln, dass sie nicht ins Visier geriet.
Was Charlie zu Nick gesagt hatte, war richtig. Sie würden auf den nächsten Tod warten müssen, bis sie eine Chance bekämen, Jay für ihre Verbrechen büßen zu lassen. Das war ein zutiefst deprimierender Gedanke. Sie wünschte, es gäbe eine andere Erklärung für die Kette von Todesfällen, die Jay Stewart umgaben, aber jede andere Theorie musste eine überwältigende Anzahl von Zufällen gelten lassen.
Der Macht einer Gewohnheit folgend, die siebzehn Jahre brachgelegen hatte, ging Charlie die North Oxford Street entlang auf die Parkanlagen der Universität zu. Der Frühlingsnachmittag war merklich kühl und der Himmel so grau wie ihre Stimmung. Sie hatte keinen Blick für die Pracht der Frühlingsblumen. Sie sah nur, dass sie das Ende eines Weges erreicht hatte. Was am Anfang eine Ablenkung gewesen war, hatte schließlich die Zweifel und die Enttäuschung noch verstärkt, die sie seit dem zweiten Mordprozess gegen Bill Hopton peinigten. Sie würde einen Spaziergang durch den Park machen und dann den Bus zum Bahnhof nehmen. Für die Rückfahrt nach Manchester hatte sie noch genug Zeit.
Genug Zeit, um einen letzten Umweg zu machen, schlug ihr eine leise Stimme im Hinterkopf vor. So bald würde sie nicht wieder nach Oxford kommen. Es konnte doch nicht schaden? »Es könnte millionenfach schaden«, sagte sie laut und erntete ein nachsichtiges Lächeln von einem vorbeikommenden Studenten.
Sie ging quer durch den Park und kam auf der anderen Seite am Keble College heraus, woraufhin sie links abbog auf The Broad zu. Sie konnte die Queen’s Lane hinuntergehen und dort leicht in einen Bus nach Iffley steigen. Für Charlie, genau wie für einen abtrünnigen Banker, war eine Million einfach nicht genug.
10
D iesmal, beschloss Charlie, würde sie nicht vorher anrufen und Lisa die Gelegenheit geben, sich vorzubereiten. Wenn sie keine Zeit hatte, sei’s drum. Charlie konnte wieder gehen, und vielleicht schaffte sie diesmal den endgültigen Absprung. Aber der letzte bedeutsame Satz, den Lisa zu ihr
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