Alle Rache Will Ewigkeit
haben Corinna und Sie wahrscheinlich eine Mörderin davonkommen lassen, die dann weiterhin morden konnte.« Als Charlie nach der Türklinke griff, wurde ihr klar, dass sie im Laufe der letzten halben Stunde eine unsichtbare Grenze überschritten hatte. Sie hatte sich darauf festgelegt, dass Jay Stewart sich ihrer Vergangenheit stellen und ein paar unangenehme Fragen beantworten musste. Und sie würde sicherstellen, dass das passierte. »Wenn das College Ihnen wirklich so viel bedeutete, dann hätten Sie sie gleich damals aufhalten sollen.«
7
N achdem Jay den perfekten Abschluss für das Kapitel gefunden hatte, fühlte sie sich ausgelaugt. Nach all den adrenalingeschwängerten Geschichten um Liebe und Tod erschien es ihr müßig, zu schildern, wie sie die letzten Semester in Oxford verbracht, ihr Coming-out über die Bühne gebracht hatte und schließlich zu einer glamourösen Londoner Journalistin als Geliebte gekommen war mitsamt den Kontakten, die ihr in der Zukunft nützlich waren.
Das Drama um ihre erzwungene Trennung von Louise und der Selbstmordversuch ihrer Freundin konnten bestimmt eine spannende Lektüre abgeben, das wusste sie. Und es würde ihr Spaß machen, Louises Familie engstirniger Spießer endlich eins auszuwischen, aber das konnte dann wieder diverse Probleme mit sich bringen. Und jetzt wollte sie nicht weiter darüber nachdenken.
Manche Schriftsteller beschrieben das Verfassen von Memoiren als einen Prozess, bei dem man am Anfang ansetzte und dann einfach kontinuierlich weiterschrieb, bis man am Ende anlangte. Bei Jay war das anders. Sie dachte darüber nach, wie es mit
Ohne Reue
gewesen war. Sie hatte sich zunächst auf die Höhepunkte konzentriert, die großen, dramatischen Wendepunkte ihres Lebens, und dann hatte sie sich hingesetzt und die Lücken dazwischen geschlossen. Schließlich kam das, was Maler »den Hintergrund« nannten. Als sie ihrem Agenten diesen Prozess schilderte, hatte er mit Unverständnis reagiert. »Aber wird das nicht langweilig, wenn du dir die ganzen Rosinen schon im Vorfeld herausgepickt hast? Dieses Lückenfüllen muss doch nervig sein.«
Jay hatte einen Moment darüber nachgedacht. »Ich glaube, man müsste es eher mit der Arbeit eines Juweliers vergleichen. Man fängt mit dem Edelstein an. Er wird geschnitten, poliert, und man holt das Beste aus ihm heraus. Dann muss man für eine Fassung sorgen, die dem Stein die größtmögliche Wirkung verleiht. Es ist eine wahre Herausforderung, den eigenen Glanz auf diese Weise noch zu verstärken.«
Jasper hatte amüsiert gelacht. »Wie unglaublich poetisch, Liebling. Es ist ja eine regelrechte Verschwendung von Ressourcen, dass du Memoiren schreibst. Ich muss dich dazu kriegen, einen Liebesroman zu entwerfen!«
Beide wussten genau, wie absurd diese Idee war.
Jay schaute auf die kleine Uhr auf dem Computerbildschirm. Fast vier. Wie lange brauchte man für ein Mittagessen und einen Streit mit den Eltern? Sie wusste, dass Magda anrufen würde, bevor sie in Oxford losfuhr. Also hatte sie noch mindestens eine Stunde für sich.
Heute hatte sie einen bestimmten Themenbereich, da war es klar, was sie sich als Nächstes vornehmen musste. Über Kathy war nicht viel zu schreiben. Wenn der Leser erst einmal bis zu diesem Punkt vorgedrungen war, wusste er bereits alles über ihre Geschäftspartnerin. Kathy, der Computerfreak, das technische Superhirn hinter doitnow.com . Die fanatische Bergsteigerin, der bei der Arbeit nichts wichtiger war als Sicherheitsfragen und die in der Felswand immer wieder bereitwillig ihr Leben riskierte. Zu diesem Zeitpunkt hatten sie schon drei Jahre zusammen gearbeitet und waren fast ebenso lange zusammen geklettert. Den Trip nach Skye hatten sie schon seit Monaten geplant. Winterklettern auf dem Black Cuillin. Für Bergsteiger gab es auf den britischen Inseln keine größere Herausforderung.
Bei einer Klettertour zum Gipfel des – wie der Name schon sagt – nahezu unzugänglichen Inaccessible Pinnacle hat man genug Zeit, es sich noch einmal anders zu überlegen. Denn wie bei vielen Touren auf Skye muss man einen weiten und anstrengenden Fußmarsch auf sich nehmen, bevor man durch die schöne Aussicht belohnt wird. Das Felsmassiv im Westen von Skye lässt sich noch am ehesten mit den Alpen und den Rockies vergleichen. Somit ist der In-Pinn das größte Wagnis, das ein Bergsteiger hierzulande eingehen kann.
Selbst Sir Hugh Munro, der Meisteralpinist, nach dem die über dreitausend Fuß hohen
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