Alle Rache Will Ewigkeit
schottischen Berge benannt sind, musste vor dem In-Pinn auf dem Sgurr Dearg kapitulieren. Niemand würde abstreiten, dass der In-Pinn der schwierigste dieser Gipfel ist, denn hier muss man die Künste des Felsenkletterns beherrschen. Man kann da nicht einfach so raufkraxeln, sondern muss sich wirklich auskennen. Wir waren jedoch weder Neulinge noch Vollidioten, wir wussten, auf was wir uns da einließen.
Wochenlang hatten wir auf die richtigen Bedingungen zum Eisklettern gewartet. Wir hatten im Büro fertig gepackte Rucksäcke stehen und waren bereit, auf einen Anruf hin alles stehen und liegen zu lassen. Endlich meldete sich unser Kontaktmann in Glen Brittle, und wir machten uns auf zum Flughafen. Wenn man ein Reiseunternehmen mit dem Namen doitnow.com führt, kennt man sich mit Last-Minute-Flügen bestens aus. Ein schneller Kurzstreckenflug nach Glasgow und dann nervenaufreibende sieben Stunden Fahrt auf vereister Strecke nach Skye.
Den In-Pinn wollten wir am zweiten Tag unseres Kletterurlaubs angehen. Der erste Tag diente zum Aufwärmen. Wir mussten uns daran gewöhnen, wie man mit Schnee und Eis auf dem schwarzen Basalt und dem Gabbro umgeht, die den Cuillin zu einer so großartigen Oberfläche zum Bergsteigen machen. Nach diversen Kletterübungen waren wir schließlich bereit für die Hauptattraktion. Wie immer lief alles zwischen uns wie am Schnürchen. Auf dem Berg mussten Kathy und ich nie viele Worte machen. Wir verstanden uns intuitiv, und es überraschte mich immer wieder, wie gut das funktionierte. Privat hatten wir uns sonst eigentlich nie viel zu sagen, doch hier und bei der Arbeit waren wir ein phantastisches Team.
An diesem ersten Abend gingen wir früh zu Bett, um für unsere Bergtour fit zu sein. Von der feuchtfröhlichen Geselligkeit der anderen Gäste, die auch am Morgen losziehen wollten, hielten wir uns fern. Die Wettervorhersage war nicht übermäßig gut, weshalb wir uns entschlossen, so früh wie möglich aufzubrechen. Es war noch dunkel, als wir losgingen. Ein Problem beim Winterklettern im Norden sind die kurzen Tage, und dabei erfordern die besten Bergtouren oft einen langen Hin- und Rückweg.
Wir parkten neben der Glen Brittle Bergwachtstation und waren beide freudig erregt. Ich ahnte nicht, dass wir noch am selben Tage die Hilfe genau dieses Rettungsteams brauchen sollten. Da wir beide Kopflampen umgeschnallt hatten, verpassten wir trotz der dünnen Schneedecke nicht den Anfang des Trampelpfads. Der relativ breite Pfad führte an diversen Schafspferchen vorbei. Das Rauschen des Allt Coire na Banachdich war bereits zu vernehmen, und bald erreichten wir auch die Holzbrücke, die den reißenden Bach überspannte.
Es wäre schön gewesen, wenn wir später hätten aufbrechen können, denn dann hätten wir uns die Eas Mor Wasserfälle in all ihrer Pracht anschauen können. Ich musste an meinen ersten Reiseführer für die Insel Skye denken, den ich vor langer Zeit gekauft hatte und in dem es hieß: »Auf Skye regnet es an 323 von 365 Tagen, deshalb haben wir auch so schöne Wasserfälle.« Kathy interessierte das nicht. Von eisigem Graupel geplagt, staksten wir an eindrucksvollen Schluchten vorbei, die sich so herausfordernd ausnahmen wie nur irgendetwas, was ich je bestiegen hatte. Als es endlich hell wurde, bot sich uns ein erstaunliches Bild: archaische Felsblöcke, atemberaubende Formen und Konturen und darüber eine gezackte Skyline, bestäubt mit Schnee und gekrönt von glitzerndem Eis.
Als der Gipfel zum ersten Mal in unser Blickfeld kam, waren wir zunächst enttäuscht. Aus der Entfernung sah er unbedeutend und kaum höher als die benachbarten Bergspitzen aus. Aber als wir uns unserem Ziel weiter näherten und einige Bealachs – gälisch für Gebirgspass – überquert hatten, dämmerten uns so langsam die wahren Größenrelationen. Und die waren ehrfurchtgebietend.
Unser Ziel wirkte wie ein Obelisk aus Gabbrogestein, der sich über einem kleinen Plateau direkt unterhalb des Hauptgipfels des Sgurr Dearg fünfzig Meter hoch über einem auftürmt. Das mag harmlos klingen, doch wenn man erst mal begonnen hat zu klettern, dann hat man eine tausend Meter tiefe Schlucht unter sich. Selbst erfahrenen Bergsteigern ist es nicht anzuraten, allzu lange nach unten zu schauen.
Bevor wir loslegten, aßen wir Schokoriegel und nahmen einen großen Schluck aus unseren Wasserflaschen. Auf der Cuillin Ridge gibt es kein Wasser; man muss also alles bei sich haben, was man braucht. Wenn man vor
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