Alle Rache Will Ewigkeit
eines Falles von vor siebzehn Jahren erinnere?« Er hob fragend und ungläubig die Stimme. »Haben Sie eine Ahnung, wie viele Autopsien ich jede Woche durchführe?«
»Sie führen nicht viele an zwanzigjährigen Frauen in körperlicher Topform durch«, sagte Charlie. »Ihr Name war Jess Edwards, und sie ertrank im Cherwell beim Bootshaus von St. Scholastika.«
Es war ein fabelhaftes Schauspiel, wie Patels Augen zu leuchten begannen. »Ich erinnere mich tatsächlich«, sagte er langsam. »Keine Einzelheiten allerdings. Aber ich erinnere mich an den Fall.« Er schnalzte mit der Zunge. »November 1993 . Damals hatten wir schon Computer. Es müsste auf dem Server sein …« Er nahm den Telefonhörer und wandte sich von Charlie ab. »Matthew? Du musst mir mal einen Bericht vom November 1993 aufrufen … Jess Edwards … Bis wann?« Er nickte. »Danke.«
Er rief eine Seite auf seinem Laptop auf. Der Zeitplan für diesen Tag füllte den Bildschirm aus. Mit dem Finger fuhr er an der Liste der Termine herunter und drehte sich dann wieder zu Charlie um. »Können Sie heute Nachmittag wiederkommen? Um halb vier? Wäre das machbar für Sie?«
»Das wäre großartig.« Charlie stand auf. »Ich danke Ihnen für Ihre Zeit.«
Patel nickte. »Sie war genauso alt wie meine Tochter«, sagte er. »Manchmal darf man keine Mühe scheuen.«
16
G eduld war nie eine von Charlies Stärken gewesen. Sie hatte Freunde und Kollegen, die Ausfallzeiten wie ein Gottesgeschenk begrüßten, aber sie selbst hatte immer einen Drang verspürt, diese unvermeidlichen Lücken zwischen dem tätigen Handeln mit etwas Produktivem auszufüllen. Also verließ sie Vik Patels Büro mit großen Plänen, zum College zurückzukehren, um ihre Online-Recherche fortzusetzen. Aber als sie sich in ihrem Zimmer auf ihrem Laptop einloggte, sah sie als Erstes eine E-Mail von Lisa.
Wenn sie jetzt versuchte, im Internet zu arbeiten, würde die Mail sie verfolgen, bis sie sie öffnete. Aber sie wollte nicht lesen, was Lisa zu sagen hatte. Charlie kannte sich gut genug, um zu begreifen, dass Lisa immer noch Macht über sie hatte. Und sie wollte sich nicht wieder durch ihre Worte verführen lassen. Also schloss sie den Laptop, streckte sich auf dem Bett aus und dachte über die Alternativen nach.
Als sie aufwachte, war es nach zwei Uhr. Charlie konnte kaum glauben, dass sie fast drei Stunden geschlafen hatte. Normalerweise schlief sie nachmittags nicht, und ihre Benommenheit machte ihr auch klar, warum das so war. Angeschlagen und schlapp zog sie sich aus, duschte und versuchte verzweifelt, ihr Gehirn wieder in Gang zu bekommen. Vik Patel ließ sich bestimmt nicht so leicht in die Tasche stecken, sie konnte es sich nicht leisten, mit vernebeltem Kopf zu diesem Treffen zu erscheinen.
Mit noch feuchtem Haar eilte sie zum Wagen und schaute im Gehen auf ihr Telefon, ob Nachrichten da waren. Eine SMS von Lisa. »Verflixt«, murmelte Charlie. Als sie sich noch verzweifelt nach der winzigsten Neuigkeit aus Lisas Leben gesehnt hatte, war fast nichts gekommen. Jetzt, wo sie ihre Ruhe haben wollte, schien Lisa sie geradezu zu verfolgen. »Ich werde dich ignorieren«, schimpfte sie, als sie ins Auto stieg. »Ich hab keine Lust darauf.«
Sie kam in der Pathologie des Krankenhauses fünf Minuten vor der verabredeten Zeit an. Diesmal führte der junge Mann sie direkt ins Büro seines Chefs.
Patel sprang mit einem besorgten Ausdruck auf, als sie hereinkam. »Das ist sehr beunruhigend«, sagte er und kam damit sofort zur Sache.
»Sie haben etwas gefunden?«, fragte Charlie und gab sich keine Mühe, ihren Eifer zu verbergen.
Patel sog scharf den Atem ein. »Oh ja«, sagte er. »Sobald ich die Datei betrachtete, fiel es mir wieder ein. Eine Anomalie. Eine ganz eindeutige Anomalie.« Er wies Charlie mit einer Handbewegung den Stuhl in der Ecke zu und zeigte auf seinen Schreibtisch. Zu ihrem Befremden wurde der Platz, wo sein Laptop gestanden hatte, jetzt von einem klobigen Modell aus Legosteinen eingenommen, das auf einem Blatt Papier stand. Patel setzte sich und klopfte auf ein klotziges Rechteck, das auf der grünen Fläche lag. »Denken Sie sich das als das Bootshaus und den Anlegesteg des St. Scholastika College«, erklärte er. »Und dieses Blatt Papier ist der Fluss.«
Charlie nickte. Es war eine sehr freie Nachbildung des Ortes, den sie am Morgen besucht hatte, aber schließlich war sie phantasiebegabt. »Okay.«
Er holte eine Legofigur hervor, die Prinzessin Leia
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