Alle Singen Im Chor
Bücher und Schallplatten. Im Schlafzimmer standen ein breites Bett und ein Nachttisch, auf dem ein siebenarmiger Leuchter prangte. Liebe bei Kerzenschein, wie romantisch! Ich überlegte, ob der Kerzenständer wohl schon da war, als Jaana hier ihre Nächte verbrachte.
Auf einem kleinen Tisch im Flur stand das Telefon. Der Anrufbeantworter blinkte. Mein Herz setzte einen Schlag aus: Womöglich hatte jemand etwas auf Band gesprochen, was uns weiterhalf.
Es waren zwei Nachrichten. Der erste Anruf kam zweifellos aus einer Telefonzelle, man hörte die Münzen fallen. «Hier ist Tiina. Die Pläne sind jetzt ins Wasser gefallen. Du bist ein billiger Kerl, auf dich kann man sich nicht verlassen. Komm dann am Sonntag zu mir.» Ein billiger Kerl?, überlegte ich verwirrt. Die zweite Nachricht war noch seltsamer. «ÄM hier. Sonntagabend. Ich hau morgen ab. Ruf sofort an.» Der Anrufer war ein Mann, seine Stimme heiser und wütend. Ich nahm das Band aus dem Gerät und steckte es ein. Jukka würde es nicht mehr brauchen.
Der Notizblock neben dem Telefon hatte perforierte Blätter zum Abreißen, daher war nur das oberste Blatt beschrieben: «Tuulia nicht am Montag!» Als wäre das Ausrufezeichen nicht genug, war der Satz auch noch unterstrichen. Ich musste Tuulia fragen, was das bedeutete, wahrscheinlich etwas so Triviales wie eine rückgängig gemachte Verabredung zum Squash.
Koivu hatte sich inzwischen mit dem Plattenregal befasst. «Fast nur klassische Musik», stellte er enttäuscht fest. «Ein paar Platten von den Beatles und von Queen sind auch dabei, aber furchtbar viel von irgendeinem Bach. Das ist ’ne wahnsinnig gute Stereoanlage, die hat mindestens zwanzigtausend gekostet. Der Fernseher und das Videogerät sehen auch ganz neu aus. Was war der Typ eigentlich von Beruf?»
«Diplomingenieur, Bergwesen. Wir gehen morgen zu seiner Firma.»
«Die verdienen offenbar gut. Er hat sich aber nicht bloß für Technik interessiert, wenn er so viele Bücher hat.»
«Wahrhaftig.» Und zwar keine Buchklubware, stellte ich fest. Anstelle von Bestsellern im Prachteinband standen in den Regalen englisch- und französischsprachige Klassiker: Joyce, Proust, T. S. Eliot, Baudelaire. Ich konnte mir Jukka nur schwer bei der Lektüre von Ulysses vorstellen, aber vielleicht hatte er ja noch mehr Seiten, von denen ich nichts ahnte.
Die Kochnische war neutral und sauber, im Kühlschrank fand ich Milch, Käse und ein paar Dosen Beck’s, auf dem Tisch lagen Obst und vertrocknetes Brot. Der Lebensmittelvorrat war spärlich, offenbar hatte Kochen nicht zu Jukkas Hobbys gehört. Im Geschirrschrank stand Designerware von Arabia und Iittala. Der Inhalt des untersten Schrankes machte mich stutzig: Unmengen von etikettlosen Flaschen, gefüllt mit einer klaren Flüssigkeit, in der jeweils ein Kräuterzweig schwamm. Ich schraubte eine Flasche auf, roch daran und probierte dann vorsichtig. Es schmeckte nach scharfem Schnaps und ganz leicht nach Anis.
«Koivu, komm mal her. Dienstlicher Auftrag.» Ich hielt ihm die Flasche hin. Er nahm einen kräftigeren Schluck als ich und verzog erstaunt das Gesicht.
«Schwarzgebrannter», sagte er. «Und irgendein Gewürz. Ein bisschen wie Anis. Irrsinnig stark. Ist da noch mehr?»
«Mindestens dreißig Liter. Gehört zu der Wohnung ein Keller oder ein Dachraum? Ruf mal den Hausmeister an und frag. Womöglich finden wir da den Destillierapparat.»
Während Koivu nach der Nummer des Hausmeisters suchte, machte ich mich über Jukkas Schreibtisch her. In der obersten Schublade lagen haufenweise alte Sparbücher, Kontoauszüge, Aktienbriefe und sonstige Papiere. Ich beschloss, sie aufs Präsidium mitzunehmen. In der nächsten Schublade fand ich alte Taschenkalender und einige Briefe. Die kamen auch mit. Die unterste Schublade enthielt Diplomarbeiten zum Bergwesen und zwei Fotoalben.
«Ein Keller gehört nicht zu der Wohnung, aber ein Verschlag auf dem Dachboden. Ich seh mal nach, ob einer von Peltonens Schlüsseln passt.» Koivu war offensichtlich scharf darauf, den Branntweinkessel aufzustöbern.
Ich schlug aufs Geratewohl eins der beiden Alben auf. Gleich auf dem ersten Bild grinste mir Jaana entgegen, die in der engen Küche unserer alten Wohnung saß und eine Möhre in der Hand hielt. Im Übrigen enthielt das Album hauptsächlich die üblichen Familienfotos. Jukka als Baby, beim Segeln auf einer Jolle, beim Angeln auf demselben Steg, an dem er gestorben war, Jukka, der mit seinem Bruder in eine Baumhütte
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