Alle Singen Im Chor
mit Mirja? Mirja lässt das zu? Offenbar waren meine Vorstellungen von diesen Menschen völlig falsch. Leider hatte ich keinen Kognak im Büro wie Marlowe, der meinen Gedanken auf die Sprünge geholfen hätte. Stattdessen holte ich mir am Automaten im Gang einen Becher wässrigen Kakao, denn Automatenkaffee bringe selbst ich nicht herunter.
Jukka schien in das Liebesleben jeder Frau auf meiner Verdächtigenliste verstrickt zu sein. Mit Sirkku hatte er sich in Deutschland vergnügt, mit Piia im Frühjahr, vor einem Jahr mit Tuulia, davor mit Mirja. Ein Glück, dass nicht der ganze Chor in Vuosaari geprobt hatte!
Nun nahm ich mir Jukkas sonstige Papiere vor. Obenauf lag ein Briefumschlag, der die Bilanz des IOL und den Revisionsbericht enthielt. Jukka war offenbar einer der beiden Kassenprüfer gewesen.
Im Mai hatte Jukka die letzte Rate des Darlehens für seine Wohnung abbezahlt, was mich wunderte. In den letzten zwei Jahren hatte er seine Kredite mit relativ großen Teilzahlungen getilgt. Vielleicht hatte ihm sein Vater einen Teil seines Erbes ausgezahlt. Ich machte mir eine Notiz, dass ich Heikki Peltonen anrufen und nach den Finanzen seines Sohnes fragen musste. Dabei konnte ich mich auch erkundigen, wann genau die Beerdigung stattfand.
Jukka hatte alle Kontoauszüge sorgfältig aufbewahrt, ebenso die Unterlagen für das Finanzamt. Er hatte sogar seine Steuererklärung vom letzten Jahr und sämtliche abgesetzten Quittungen kopiert. Wenn ich doch in finanziellen Dingen auch so penibel wäre! Ich wunderte mich, wovon der Mann eigentlich gelebt hatte, denn für die Wohnung war praktisch sein ganzes Gehalt draufgegangen. Zwar hatte er doppelt so viel verdient wie ich, aber einen Kredit über zweihundertfünfzigtausend Finnmark in drei Jahren abzuzahlen war trotzdem eine reife Leistung. Und der tolle Wagen – keinerlei Hinweis auf seine Finanzierung, auch kein Leasingvertrag. Ich fand eine Kopie des Versicherungsscheins, der den Wert des Autos auf etwas mehr als einhunderttausend Finnmark bezifferte.
Der Schweiß trat mir auf die Stirn, als ich mir die Kontoauszüge genauer ansah. Das Gehalt war regelmäßig überwiesen worden, aber zusätzlich tauchten von Zeit zu Zeit überraschend hohe Bareinzahlungen auf. Und kurz vor Weihnachten waren fünfzigtausend Finnmark Termingeld fällig geworden.
Ich ging zur Toilette, wusch mir das Gesicht und holte mir noch einen Becher Kakao. Ein paar Mal wurde ich vom Klingeln des Telefons unterbrochen, aber als ich meine Arbeit fertig hatte, war ich ebenso verblüfft wie zufrieden.
Aus den Papieren, die ich geprüft hatte, ging eindeutig hervor, dass Jukka über sein normales Gehalt hinaus von irgendwoher riesige Summen bezogen hatte. Die Schwarzbrennerei konnte nicht so viel einbringen, wenn sie nicht in wahrhaft gigantischem Ausmaß betrieben wurde. Die Kreditkartenabrechnungen zeigten, dass Jukka häufig in Restaurants gesessen und überraschend oft auch im Nachtklub Hesperia und ähnlichen Aufreißerlokalen verkehrt hatte. Ich hatte nicht erwartet, dass er auf käuflichen Sex angewiesen war, aber woher wollte ich das so genau wissen. Vielleicht stand er auf so was.
«Aufwachen!», rief Koivu von der Tür her und riss mich aus meinen Überlegungen.
«Na, wie war’s in Kaarela?»
«Langweilig. Und jetzt muss ich gleich nach Malmi, angestochene Zigeuner befragen. Bist du da auch hingerufen worden?» Koivu ließ sich auf den Besucherstuhl fallen, steckte sich drei Xylitolkaugummis in den Mund und schob mir die Packung hin.
«Danke. Nee, zu der Party bin ich nicht eingeladen. Ist vielleicht Miettinens Fall.»
«Und, hast du in Peltonens Papieren was Interessantes gefunden?»
«Und ob! Sag mal, Koivu, warst du schon mal auf dem Fleischmarkt im Hesperia?»
«Für so was hab ich kein Geld.»
«Du könntest heute Nacht hingehen, mit einem Foto von Jukka. Oder hast du schon was vor? Ich red mit dem Chef wegen der Überstunden. Du suchst dir die raus, die wie Professionelle aussehen, und fragst sie, ob sie Jukka gekannt haben. Sag ausdrücklich, dass es um einen Mord geht. Du weißt schon, wie im Fernsehen.»
Koivu schien begeistert zu sein. Endlich mal ein Tag, von dem er später seinen Fußballkumpels erzählen konnte.
«Es ist besser, du gehst hin als ich», setzte ich hinzu.
«Genau, du besitzt sicher keine Stöckelschuhe und Netzstrümpfe.»
«Du hast übrigens noch die Pornoheftchen …»
«Ich muss jetzt los», sagte Koivu hastig und stand auf. «Ich schau später
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