Alle Singen Im Chor
kletterte, Klassenfotos aus der Volksschule. Auf den Fotos vom Gymnasium erkannte ich auch Antti und Tuulia. Das Trio schien beim Fotografieren immer das gleiche Gesicht aufzusetzen: Jukka schnitt eine komische Grimasse, Tuulia lächelte sinnlich in die Kamera, und Antti sah mager und verdrießlich aus. Fotos vom Konfirmandenlager in Lappland, Fotos von Jukka mit der Studentenmütze auf dem Kopf und einem Rosenstrauß im Arm. Ähnliche Bilder wie von uns allen.
Das neuere Album enthielt hauptsächlich Bilder vom Chor und einige Hochzeitsfotos von Freunden. Offensichtlich war Jukka kein begeisterter Fotograf gewesen, es sei denn, er hätte sich auf Dias verlegt.
Ich hatte das Album gerade zugeschlagen, als Koivu wiederkam. «Rate mal, was ich gefunden hab», schnaufte er. «Da oben auf dem Dachboden sind mindestens hundert Liter von dem Fusel. Ein Destilliergerät hab ich nicht gesehen, vielleicht hat er das woanders. Aber ’ne Schwarzbrennerei hat Peltonen betrieben, das steht fest.»
«Wow! Da müssen wir den Verschlag aber gut zusperren.
Kannst du mal im Schlafzimmer nachsehen, ob du was Interessantes findest?»
«Wir könnten ja ein paar Flaschen von dem Fusel für den Eigenbedarf beschlagnahmen, das würde eh keiner merken», schlug Koivu augenzwinkernd vor. «Bloß gut, dass Kinnunen nicht hier ist, der würde ausflippen.» Er nahm sich Jukkas Kleiderschrank vor. «Hier hängen übrigens ganz schicke Seidenhemden, damit könnt ich auch was anfangen. Nee, sind mir zu klein.» Es wirkte geradezu komisch, mit welchem Eifer er Jukkas Anzugtaschen durchsuchte. Was er wohl zu finden glaubte? Waffen? Drogen? Ich überlegte, wo das Destilliergerät wohl sein mochte und wem Jukka den Fusel geliefert hatte. Und wer waren Tiina und ÄM?
«Hier is weiter nichts außer einer hübschen Sammlung Sexheftchen.» Koivu kam mit einem aufgeschlagenen «Playboy» aus dem Schlafzimmer. «Warum haben Frauen, die so aussehen, an mir kein Interesse? Warum krieg ich immer nur brave Braunhaarige?»
«Weil du ein braver Blondschopf bist. Du müsstest versuchen, wie ein Tiger auszusehen und nicht wie ein Teddybär. Weißt du was, lass uns die Heftchen mitnehmen, für Jukkas Mutter wäre es vielleicht weniger angenehm, sie hier zu finden.» Bei jedem anderen Kollegen hätte ich es als sexuelle Belästigung empfunden, wenn er mir Pornofotos gezeigt hätte, aber Koivu behandelte mich wie eine große Schwester, mit der er ohne Hintergedanken über die verwirrenden Fakten des Lebens sprechen konnte.
Wir suchten nach Geheimverstecken, klopften Wände und Möbel ab, und ich kam mir lächerlich vor. Außer Jukkas Bankdokumenten, Briefen und Kalendern war nichts Interessantes mehr zu finden.
Auf dem Rückweg kaufte Koivu die «Ilta-Sanomat». Bei den Inlandnachrichten stand eine kleine Notiz über den Todesfall in Vuosaari; es hieß, es handle sich um einen Unglücksfall und die polizeilichen Ermittlungen dauerten noch an. Vielleicht hatte der Aufsichtsrat von Neste meinem Chef einen Wink gegeben, vorläufig sei ein bisschen Zurückhaltung wünschenswert. Mir konnte das nur recht sein.
Wir hielten bei Carrols und nahmen ein Hamburger-Meal zu uns. Dazu genehmigte ich mir noch einen Schoko-Shake, was Koivu mit einem Gesichtsausdruck quittierte, der nur «Typisch Frau!» bedeuten konnte. Er wollte anschließend in eine der Vorstadtsiedlungen, nach Kaarela, zu weiteren Ermittlungen in einem Fall von Körperverletzung, den er gemeinsam mit Savukoski bearbeitete. Mir blieb für heute die Aufgabe, die Papiere durchzusehen, die ich aus Jukkas Wohnung mitgenommen hatte. Ich überlegte, was mit dem Schwarzgebrannten geschehen sollte. Als Beweismaterial beschlagnahmen? Aber als Beweis wofür? Offensichtlich hatte Jukka illegal Schnaps verkauft. Sollte es dabei zu Meinungsverschiedenheiten gekommen sein, die dann zu seinem Tod geführt hatten? Ich sah schon die Schlagzeile vor mir: «Fuselkönig in Strandvilla ermordet».
Auf meinem Schreibtisch lag ein Stapel Rückrufbitten. Nachdem ich alle durchtelefoniert hatte, nahm ich mir Jukkas Papiere vor. Es kam mir vor, als hinge immer noch Zigarrenqualm in der Luft. Ich öffnete das Fenster und starrte die Betonwand des gegenüberliegenden Hauses an. Ich war schläfrig und hatte eigentlich keine Lust zu arbeiten. Trotzdem pflanzte ich mich auf meinen Schreibtischstuhl, legte die Füße auf den Tisch und stellte mir vor, ich wäre Philip Marlowe.
Bei den Ansichtskarten, die Jukka aufbewahrt hatte,
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