Alle Singen Im Chor
Orgel und spielte Händels Largo. Die Trauergäste saßen still in den Bänken und warteten darauf, dass die engsten Angehörigen als Erste die Kirche verließen. Jukkas Vater fasste seine Frau vorsichtig am Arm. Maisa Peltonen stand schwankend auf und fing plötzlich an, die Orgel zu überschreien:
«Du Monster, das meinen Sohn ermordet hat! Wie kannst du es wagen, in diese Kirche zu kommen, wie kannst du es wagen, an Jukkas Sarg zu singen, wie …» Ihre Stimme erstickte in heftigem Weinen, Heikki Peltonen drückte ihren Kopf an seine Brust, als wollte er ihr den Mund verschließen. Toivonen holperte durch das Largo, die anderen Kirchenbesucher starrten betreten an die Wand oder zu Boden. Die Chormitglieder sahen einander nicht an. Timo war feuerrot geworden und presste Sirkkus Hand, Sirkku biss sich auf die Knöchel, als wollte sie ihren eigenen Schrei ersticken. Piia vergrub ihr Gesicht im Taschentuch. In Jyris Gesicht zuckte es. Nur Mirja saß unbewegt da.
Die Trauergäste setzten sich erst in Bewegung, nachdem Jukkas Eltern die Kirche verlassen hatten. Die Gedenkfeier würde ein Albtraum werden, so viel stand fest. Der blumenbedeckte Sarg blieb vor dem Altar stehen, offenbar sollte er in aller Stille eingeäschert werden.
Ich versuchte, unbemerkt aus der Kirche zu entkommen, aber Antti war schneller als ich. Auf dem Vorplatz hörte ich seine Schritte hinter mir, dann packte er mich grob am Arm.
«Verflucht nochmal, tu was, und zwar schnell!», zischte er, die Augen zu Schlitzen verengt wie eine angriffsbereite Katze. «Maisa steht kurz vor dem Zusammenbruch. Sie hat geschworen, sich zu rächen, uns alle umzubringen. Sie hält nicht mehr lange durch.»
«Dann leg doch ein Geständnis ab!», fuhr ich ihn wütend an. Er ließ meinen Arm los und starrte mich entsetzt an.
«Da bist du aber gewaltig auf dem Holzweg! Kein Wunder, dass du nicht vorankommst, wenn du mich verdächtigst!»
«Zumindest könntest du ein bisschen kooperativer sein!»
«Ach nee, an meiner Kooperationsfähigkeit hängt also alles?»
Im gleichen Moment umringten uns die anderen Chormitglieder. Mir kam das alte Spiel in den Sinn, Blindekuh, wo der in der Mitte raten muss, auf wen sein Finger zeigt. Ob man mit dieser Methode einen Mörder entlarven konnte?
«Antti, wir machen noch eine kurze Probe vor der Gedenkfeier», sagte Toivonen. Die ersten Regentropfen landeten auf meiner Stirn. Während wir in der Kirche waren, hatten sich dunkle Wolken aufgetürmt.
«Wie oft soll ich noch sagen, dass ich da nicht hingehe. Ich hab eben meinen letzten Auftritt im IOL gehabt. Außerdem unterhalte ich mich gerade mit unserer Miss Marple.»
«Antti. Wir brauchen dich.» Mirjas Stimme war schneidend.
«Kommt, Leute. Lasst ihn in Ruhe.» Tuulia ging und zog die anderen mit sich. Plötzlich standen Antti und ich allein vor der Kirche. Nur Mirja drehte sich nach uns um.
«Ich hab jetzt wirklich keine Lust auf Kaffee und Kuchen oder auf Erinnerungen an Jukkas Kindheit», erklärte Antti und ging hinunter zur Runeberginkatu, offensichtlich in der Erwartung, dass ich mitkam.
«Wie bist du denn auf die Idee gekommen, dass ich Jukka umgebracht hätte?», fragte er, als ich ihn eingeholt hatte.
«Das hab ich doch nur so in den Raum gestellt.»
«Hast du die Technik schon an den anderen ausprobiert? Es hat wohl nicht funktioniert?»
«Nein, hat es nicht. Aber ich will wirklich rausfinden, wer der Mörder ist, und tue die ganze Zeit mein Bestes, versuch doch mal, das zu begreifen. Aber ich bin verflixt nochmal keine Superfrau, die bloß mit den Fingern zu schnipsen braucht, um einen Mord aufzuklären. Du solltest mir helfen, statt mich anzubrüllen. Ich weiß wirklich noch nicht, wer der Täter ist, aber ich hab einige Verdächtige. Alles muss überprüft werden, das braucht eben seine Zeit. Wenn du mir nichts zutraust, dann lass es bleiben. Ich muss jedenfalls versuchen, auf meine Fähigkeiten zu vertrauen.»
Antti trat mit der Spitze seines abgetragenen schwarzen Schuhs gegen eine flach gedrückte Bierdose und sagte verlegen:
«Tut mir Leid. Ich war so aufgewühlt von der Beerdigung … Ich bin der gleichen Meinung wie Maisa: Irgendwer hat in der Kirche einen Weltrekord im Heucheln aufgestellt. Wenn ich nur … wenn ich nur wüsste, was wichtig ist und was nicht.»
«Erzähl einfach alles und überlass mir die Entscheidung. Fang bloß nicht an, den Privatdetektiv zu spielen! Und vor allem, sag dem, den du verdächtigst, auf gar keinen Fall, dass du
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