Alle Singen Im Chor
runtergeworfen und gesehen, dass noch jemand im Auto saß. Sie war wütend, weil Peltonen sich so unvorsichtig benahm, aber er hat nur gesagt, der Typ wüsste Bescheid, der wäre in Tallinn auch dabei gewesen.»
«Hat Tiina gesagt, wie dieser zweite Typ aussah? Mann oder Frau?»
«Lang und dünn. Ich glaube, sie hat die ganze Zeit von einem Mann gesprochen. Ja, stimmt, sie hat gesagt, sie hätte einen Mann im Auto gesehen.»
«Manche Frauen können auch als Männer durchgehen, zumindest von weitem. Hat sie die Haarfarbe gesehen?»
«Nein. Noch etwas, was dich sicher interessiert: Peltonen hatte Tiina für Freitagabend einen Job versprochen. Der Freier ist auch erschienen, und Tiina hat ihre Arbeit erledigt, aber Peltonen hat nicht bezahlt wie vereinbart.»
«Deshalb hat sie also bei Jukka angerufen?»
«Offensichtlich. Vielleicht ist sie wutschnaubend in Vuosaari aufgetaucht und hat Peltonen erschlagen?»
«Glaub ich nicht. Ich bin immer noch davon überzeugt, dass der Mörder aus dem Haus kam. Tiina hat es nicht getan, und Mattinen auch nicht, sondern jemand aus dem Chor. Einer meiner Verdächtigen ist verschwunden. Entweder ist er der Schuldige oder einer von seinen Freunden.» Ich seufzte müde. Ich hätte Mattinen als Mörder vorgezogen.
Ich nahm mir eine große Tasse Kaffee mit in mein Zimmer und ging die Unterlagen und Notizen zu Jukkas Mord noch einmal durch.
Jukka hatte Schnaps, Rauschgift und Frauen vermittelt. Er hatte finnischen Schwarzgebrannten als russischen Wodka verkauft und damit nicht nur seine Kunden betrogen, sondern auch Sirkku und Timo. Vielleicht hatte er sich die Etiketten auf einer Reise nach Russland besorgt, da war ja momentan alles käuflich. Sicher hatte er sie auf irgendeinem Verkaufstisch entdeckt, an die Schwarzbrennerei in Muuriala gedacht und schnell kombiniert. Timo und Sirkku hatte er weisgemacht, es ginge um eine harmlose kleine Nebeneinnahme, dabei war alles ganz anders.
An den Frauen hatte Jukka garantiert auch verdient, denn aus Wohltätigkeit hatte er sicher nicht gehandelt. Tiina brauchte offenbar Geld für Drogen, die anderen Mädchen vielleicht für etwas anderes. Jukka wollte Macht über Frauen. Sein eigenes Sex- und Gefühlsleben war immer schon verworren gewesen. Er betrachtete die Frauen, mit denen er zusammen war, als sein Eigentum. Vielleicht war Piia eine Herausforderung für ihn gewesen, weil sie verheiratet war. Wenn sie sich auf ein Verhältnis mit ihm eingelassen hätte, wäre sie sehr schnell uninteressant geworden. War es Tuulia so ergangen? War sie anfangs nur ein guter Partner für gemeinsame Abenteuer gewesen? Hatte sie sich irgendwann in Jukka verliebt und war ihm lästig geworden?
Mit dem Rauschgiftschmuggel waren die Piratenspiele von Jukkas Kindheit auf seltsame Weise Wirklichkeit geworden. Bei ihm selbst hatte der Pathologe keinerlei Spuren von Drogen gefunden, vermutlich hatte er allenfalls gelegentlich Haschisch geraucht. Aber auch hier sah es nicht so aus, als ob er ein ehrliches Spiel mit seinen Geschäftspartnern treiben wollte. Wahrscheinlich hatte er auch Mattinen betrogen.
In den letzten Tagen seines Lebens hatte Jukka dringend Geld gebraucht. Er hatte Angst gehabt. Die Nachrichten von der Festnahme der Drogenhändler und von der Verhaftung des estnischen Freudenmädchens mussten ihm einen Schrecken eingejagt haben. Er hatte versucht, Geld aufzutreiben. Vermutlich hatte er ins Ausland fliehen wollen. Zur Panik hatte sich seine Angst offenbar noch nicht ausgewachsen, sonst hätte er sich sofort aus dem Staub gemacht, statt zu bleiben und möglichst viel Geld zusammenzukratzen.
Wahrscheinlich würden Jukkas dunkle Geschäfte nie vollständig aufgedeckt werden, und ich würde nie verstehen, warum er all das getan hatte. Was hatte ihn dazu getrieben? Abenteuerlust, Machthunger? Nach außen hin war er der Inbegriff eines erfolgreichen jungen Mannes, attraktiv und wohlhabend. Er hatte einen akademischen Abschluss, einen interessanten Beruf und so genannte gute Hobbys, die Musik und das Segeln. Doch das hatte ihm nicht gereicht. Nebenbei hatte er noch eine zweite Person in seine verdrehte Welt hineingezogen.
Jyri und Mirja waren nicht mit in Tallinn gewesen. Mirja konnte ich aus der Drogengeschichte getrost ausschließen. Jyri konnte derjenige sein, den Tiina in Jukkas Wagen gesehen hatte. Er war zwar nicht groß, aber wer konnte letzten Endes die Körpergröße eines Sitzenden so genau erkennen?
Timo und Sirkku waren nach Tallinn
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