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Alle Tage: Roman (German Edition)

Alle Tage: Roman (German Edition)

Titel: Alle Tage: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Terézia Mora
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ist eine normale Reaktion. Sie kann sogar als angenehm empfunden werden.
    Das ist es auch: angenehm. Sorgen macht mir aber, dass ich, egal, was ich anstelle, meine Finger nicht warm bekomme. Ich reibe an meinen Fingerspitzen, bis sie fast abbrechen, aber es nützt nichts. Ich will nicht, dass er unter jeder meiner Berührungen zusammenzucken muss wie unter Strom.
    Es ist ja nur ganz schwacher Strom.
    Dennoch.
    Es könnte sogar sein, dass es ihm hilft. Schwacher Strom soll zur Desensibilisierung führen.
    Ja, aber nur, wenn man ihn über Infusion kriegt. Schocks sind überholt.
    Gibt es überhaupt wieder Strom?
    Ich würde dem generell nicht vertrauen, sagt Vesna. Am Ende gilt er vielleicht als geheilt, ist aber jemand ganz anderes geworden.
    Das muss nicht das Schlechteste sein. Ich wäre froh gewesen, so eine Möglichkeit zu bekommen. (Oma)
    Ich habe getan, was ich konnte. Ich habe immer versucht, ihn von schädlichen Einflüssen fernzuhalten.
    Dann hättest du konsequent sein müssen und ihn als Mädchen erziehen, angefangen bei der sehr angenehm zu tragenden Damenunterwäsche. So ist er weder Fisch noch Fleisch.
    Ein Grund mehr, sich die äußerliche Untersuchung ganz zu sparen. Gleich zum EEG und dann zur Obduktion. Das Gehirn vermessen und die Organe. Das ist sehr interessant. Das Gewicht der Körpersäfte wird einzeln gewogen. Wie viel Gramm Galle, Anzahl der Zellen. Bei seiner Geburt wog er nicht mehr als 1375 Gramm.
    Das stimmt doch gar nicht.
    Woher willst du das wissen? fragt Oma grob. Was bleibt mir anderes übrig, als zu verstummen.
    Erzählt dem Kind doch nicht so was, sagt Vesna. Es bekommt nur Angst.
    Es ist weniger eine Angst, sage ich. Eher eine Lähmung. Ich bin die ganze Zeit paralysiert, als wäre ich nur noch ein Kopf, ein Gehirn, ein Gehirn mit einer Stirn, über die der Schweiß läuft. So muss ich herumwandern, obwohl ich es gar nicht will.
    Der Arme, er hat Fieber.
    In ein nasses Laken wickeln und den Hintern versohlen. Hilft garantiert. Das Laken aber nicht vergessen, später wegzunehmen. Sonst verkühlt er sich und stirbt. Was sollen die Leute sagen.
    Vielleicht wäre das jetzt die Gelegenheit, der Oma zu sagen, dass sie ihre verdammte Sadistenfresse halten soll.
    Den Nacken mit Eiswasser übergießen, bis er eine Gehirnhautentzündung bekommt.
    Halt gefälligst deine verdammte Sadistenfresseeeeeee!
    Das Gehirn schwillt an und drückt gegen den Schädel.
    Naaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiii …!
    Der Schub des Schreis drückt mich endlich von ihnen weg, ich lege noch einen Zahn zu, ich brülle, wie ich noch nie gebrüllt habe, ich schreie, so lange ich kann. Die Augen halte ich dabei geschlossen, so kann ich sie auch nicht mehr sehen. Ich höre noch das Klappern der Würfel im Becher, aber es wird schon schwächer, irgendwann hört es ganz auf, ich höre auch auf, lasse mich treiben, so weit der Schwung noch reicht.
    Viel später öffne ich vorsichtig die Augen. Es ist wieder dunkel, das ist gut. Ich gleite durch einen fensterlosen Flur. Ich weiß immer noch nicht, ob ich einen Körper habe und wie er beschaffen ist. Der Untersuchung sind wir ja zum Glück entgangen. Ich weiß gar nicht mehr, wann mich das letzte Mal ein Arzt untersucht hat. Habe ich Angst vor Spritzen? Kann ich Blut sehen? Wenn ich ehrlich bin, ist es gar nicht schlecht so. Das erste Mal seit längerem tut mir nichts weh.
    Das Schweben wird nicht langsamer, dafür der Flur immer enger, und dort vorne, wo die Eisentür ist, scheint er ganz zu Ende zu sein. Ich versuche, so etwas wie Arme auszustrecken, um mich an den Wänden zu bremsen, aber da bin ich schon durch die Tür gerauscht in ein noch größeres Dunkel.
    Als wäre es Wasser, aber es ist kein Wasser. Nacheinander tauchen weiße Dinge darin auf. Steine, Metalle, Knochen. Ein Teil von einer Egge. Ich weiß nicht, woher ich das weiß. Habe ich je zuvor eine Egge gesehen? Das Halsband eines Hundes. Ein roter Topf mit abgeplatztem Emaille. Und wieder: Statuen. Hauptsächlich Füße und Knie. Ein Knie geht um die Welt. Ein verstümmeltes Geschlecht.
    Jetzt weiß ich, was das ist: es ist die Erde unterhalb der Stadt. Jetzt keine Panik, Houdini. Das macht nur die Materie um dich herum porös und verstopft dir den Mund. Wie von den eingeatmeten Teilchen einer Lawine, stirbst du davon. Wir werden das ganz diszipliniert angehen. Nicht hastig werden, nicht husten, nicht sprechen. Jedes Geräusch spielt dem Feind in die Hand. Versuche

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