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Alle Tage: Roman (German Edition)

Alle Tage: Roman (German Edition)

Titel: Alle Tage: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Terézia Mora
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herauszufinden, wo es nach oben geht. Dann gehe dort hin. Vorher nehme diese Münzen an dich, die hier so locker auf Armlänge zwischen die Krumen gebettet liegen, kratze sie mit den Fingernägeln – da, wenn du sie brauchst, hast du welche! – heraus. Es wird sich noch als günstig erweisen, sie eingesteckt zu haben. Nicht einmal längst wertloses Geld darf man liegen lassen. Mein Vater konnte kein Geld zusammenhalten. Zu mir kommt es freiwillig. Es ist gut aufgehoben bei mir. Pleite zumindest war ich nie.
    Jetzt sehe ich auch, wo ich hin muss. Vorne leuchtet die alte Kellerkneipe. Wir haben dort unsere Reifeprüfung gefeiert, weißt du noch? Immer zwei Ecken weiter haben sie fremde Scheiben eingeschlagen, aber davon wusste ich damals noch nichts. Werde ich euch jetzt alle wieder sehen? Herzklopfend trete ich ein.
    Es ist anders, als ich es erwartet hätte. Kein rustikales mittelalterliches Gewölbe, stattdessen ein üblicher Kulturklub, die Wände ganz in Postern und Ölfarbe. Unter der Discokugel sitzt mein Vater in seinem weißen Hochzeitsanzug, die Weste spannt sich appetitlich auf seinem schlanken Rumpf. Er ist der Alleinunterhalter, trägt eine weiße Nelke im Knopfloch und spielt Synthesizer. Das war es also, was du all die Jahre gemacht hast.
    Dein Vater, mein Junge, sagte meine Mutter, ist eine zwielichtige Persönlichkeit. Als wäre er immer noch Junggeselle, zieht er nachts durch die Orte und kennt zwielichtige Leute, mit denen er vermutlich Geheimnisse teilt, von denen wir nie eine Ahnung haben werden. Er ist beliebt bei ihnen, sie wissen alles über ihn, sie rufen ihm kumpelhaft zu: Schau mal, Andor, ist das nicht dein Sohn?
    Tatsächlich. Mein Sohn ist hier. Mein Sohn ist gekommen. Meine Frau hat alle Fotos weggeworfen, ich hatte sowieso keine dabei, dennoch erkenne ich ihn. Er ist mir frappierend ähnlich, er sieht nur ein wenig älter aus als ich im Alter von vierzig Jahren, als wir uns das letzte Mal sahen. Er kleidet sich in schwarze Salatblätter, der Kopf lugt oben heraus wie ein trauriges Radieschen. Das Gesicht verzehrt in Wollust, brüchig vor Verzweiflung, in die Furchen auf der Stirn hat sich aschgraue Erde gesetzt. Seine Augen sind ein einziges blutiges Netz und die Tränensäcke! Wie der Bauch einer Eidechse, ganz genauso. Und diese zitternde Kinnlade, das wird ja immer schlimmer, gleich fällt sie ihm heraus und schlittert davon wie ein alter Rollschuh. Hallo, mein Sohn, bevor du mir hier noch in Tränen ausbrichst, wie geht es dir? Willst du was trinken?
    Darauf antworte ich nicht. Ich bin noch ganz verstört ob der Leichtigkeit, mit der er zu finden war. Mir ist ganz schwindlig, gleich erbreche ich modrige Milch. Etwas zu trinken wäre tatsächlich gut.
    Aber mein Vater kann mich nicht bedienen, er muss den Synthesizer spielen, leuchtend weiß in seinem Spot, alles um ihn herum funkelt. Es ist sehr heiß dort, wo mein Vater ist.
    Und? fragt er im Plauderton. Wie ist es dir ergangen? Bist du verheiratet? Habe ich Enkelkinder? Oder bist du, wie ich, ein einsamer Wolf? Hm?
    Um ehrlich zu sein, bin ich schwul, sage ich zu meinem Vater, als ich ihn nach zwanzig Jahren wieder sehe. Ich lerne die Knaben in einem gewissen Etablissement kennen oder auf der Straße. Einmal habe ich einen gebeten, vierundzwanzig Stunden bei mir zu bleiben. Er blieb vierundzwanzig Stunden bei mir. Er legte seinen Kopf auf meine Schulter, so blieben wir. Die Sonne ging herum. Ich wusste nicht einmal, ob er wacht oder schläft. Als der Tag abgelaufen war, auf die Minute genau, erhob er sich, durchsuchte meine Sachen, nahm sich, was er wollte. Mein ganzes Geld, sogar die Münzen. Er sah in meinem Pass das Bild und meinen Namen und blickte mich amüsiert an. Dann ging er. Das habe ich noch niemandem erzählt.
    Verstehe, sagt mein Vater. Impotenz ist ja neuerdings eine Volkskrankheit. Ich verstehe dich, mein Junge, ich verstehe dich sehr gut. Mir ging es wie den meisten Männern, zumal denen, die sich überhaupt Gedanken machen: Ich habe geheiratet, um Kinder zu haben. Einen Sohn. Dich.
    Gemessen daran, hast du dich nicht gerade verausgabt vor Fürsorge.
    Ich konnte es nur nicht so zeigen. Und was hätt’ ich auch tun sollen, mein Junge, was? Man konnte nicht vernünftig mit ihnen reden. Der ganze alte Hass und der ganze neue, sie waren bereit, förmlich auf jeden loszugehen. Jeden Mann über achtzehn, der über diese Brücke kommt, werde ich töten, das waren ihre Worte.
    Soweit ich mich erinnere, war das erst so,

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