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Alle Tage: Roman (German Edition)

Alle Tage: Roman (German Edition)

Titel: Alle Tage: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Terézia Mora
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es.
    Hier schweigen wir. Klaviermusik.
    Verstehe ich es also richtig, sage ich. Es gibt hier nichts für mich zu tun?
    Nein, mein Sohn, gar nichts. Aber bleib doch noch, hör ein wenig Musik, trink was.
    Er spielt ein bisschen, ich höre zu. Vater und Sohn.
    Ich gehe dann jetzt.
    Er lächelt und spielt. Ich wende den Blick von ihm.

    Entweder das, oder die Drehbühne, auf der er sitzt, dreht sich von mir weg, und siehe, der Blick öffnet sich weit, und ich sehe, dass diese Spelunke nur ein kleiner Ort unter vielen war, eine winzige Einzelzelle. Daneben, rundherum, öffnen sich in einem verzerrten 360-Grad-Panoramabild zahllose Wege. Du hast die Wahl. Wenn ich hier lang ginge, käme ich durch eine immer dunklere Gasse in Schweineställe. Hier in ein Bordell. Das wäre überlegenswert. Der kluge Mann geht den Weg des leichtesten Widerstandes. Schon wäre eine schnelle Lösung gefunden an diesem Scheideweg. Obwohl ich nicht weiß, ob Schnelligkeit jetzt und hier eine Bedeutung hat. Ist meine Zeit begrenzter als sonst oder im Gegenteil: Bin ich hier schon in der Vor-Ewigkeit? Manche der Pfade sind auf den ersten Blick ganz schmal, unmöglich, dass ein ganzer Mensch durchpasst, eine Magnetkarte höchstens, leider habe ich keine, mir wurde vor kurzem das Portemonnaie geklaut, inklusive Bibliotheksausweis, aber das spielt jetzt keine Rolle mehr. Sobald man näher getreten ist, öffnen sich die relevanten Schlitze sowieso von allein, das ist gut eingerichtet. Meistens verbergen sich zwielichtige und als gefährlich verschriene Gegenden dahinter, seit Ur und Babylon die gleichen Viertel, ich für meinen Teil fühle mich dort am wohlsten. Mein Vater hat mir die Augen und die Schlaflosigkeit vererbt, so dass ich, wie er, immer zwei Leben gelebt habe. Tags arbeitete ich, nachts ging ich spazieren, besuchte Etablissements. Dabei komme ich aus ganz anderen Kreisen. Provinzbürgertum, jawohl. Ein Wunder, dass ich weiß, dass es zweierlei Leute gibt. Es strebten, den Himmel zu erstürmen, die Mannweiber etcetera. Zur Strafe sind wir nun wie die Scholle gespalten. Ich hatte anfangs Glück, traf meine andere Hälfte bereits im Alter von zwölf. Leider, wie das so häufig der Fall ist mit Kinderstars, ließ sich das Erfolgsrezept nicht ins Erwachsenenalter hinüberretten, aber dort, wo der rote Plüsch bis zu den Knöcheln reicht, ist es fast wieder so gut wie damals, als der salzige Schneematsch unsere schlecht gearbeiteten Schuhe, unsere billigen Socken und die Zehen zerfraß, aber wir gingen nur und gingen. Wenn irgendwo, dann möchte ich dort sterben, ein bisschen Erholung könnte ich jetzt gut gebrauchen, aber mir ist, als müsste ich vorher noch etwas erledigen. Wahrscheinlich muss ich meine Frau treffen. Ab und zu, regelmäßig oder nicht, muss man seine Ehefrau treffen. Das Gesetz verlangt es. Meistens zu Hause zum Abendessen, damit mein Geruch bleibt, seltener im Café. Dann erzählen wir uns, dann erzählt unser nichtgemeinsamer Sohn, was wir die Woche über erlebt haben. Geographie, Biologie, Mathematik, humane Wissenschaften. Was mich anbelangt, sage ich nicht so viel. Das hängt damit zusammen, dass bei mir nicht so viel los ist. Dagegen habe ich nichts. Das ist mitunter das Anständigste, was man tun kann. Das ist meine Meinung. Nichts. Das heißt, ganz nichts ist es nicht, nichts ist nichts, man ernährt mich, aber ich ernähre mich auch selbst und organisiere den Takt meiner Tage und Nächte.
    Jetzt red’ nicht so viel, sagt Bora. Sie steht barfuß auf einer Schwelle, der Reißverschluss ihres rohseidenen Kleids ist unter der Achsel gerissen. Mit ihren kräftigen weißen Armen macht sie eintreibende Bewegungen. Komm endlich. Wir warten alle auf dich.
    Wer ist wir ?
    Sie zeigt auf eine mit Silber und Damast gedeckte riesige Tafel. Das sind wir: Anna, Olga, Marica, Katharina, Elsbeth, Tímea, Natalia, Beatrix, Nikolett, Daphne, Aida und ich selbst. Zwölf Frauen in verschiedenen Stadien des Alterns. Am jüngsten natürlich die, die sich das Leben genommen hat. Ihr Name ist Esther. Der Dreizehnte bist du.
    Ist das gut? Der Dreizehnte zu sein?
    Im Paradies ist alles gut, sagt Aida. Schwarze Haare, weiße Haut, wulstige, rote Lippen, verlockend anzusehen, gut zu essen.
    In diesem Fall sieht das Paradies wie ein schwülwarmes Palmenhaus aus. Dass die Scheiben auch hier beschlagen sind, ist klar. Das sind die Pflanzen, die Menschen, die Speisen, die dampfen. Es gibt viele Speisen. Die Frauen hören nicht auf, sie aufzutragen.

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