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Alle Tage: Roman (German Edition)

Alle Tage: Roman (German Edition)

Titel: Alle Tage: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Terézia Mora
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nachdem du gegangen warst.
    Darauf weiß er jetzt nichts zu sagen. Er weiß, dass ich Recht habe. Aber er ist keiner, der sich rechtfertigt. Er hofft, dass die Zeit die Unterschiede verwischt. Was das anbelangt, reichen oft schon fünf Minuten und nichts ist mehr zu beweisen. Wenn du also zu mir gekommen bist, mein Junge, um mir Vorwürfe zu machen, spar sie dir.
    Erstens bin ich nicht zu dir gekommen , zweitens bin ich durstig. Ist das eine Toilettentür hinter dir? Wenn ich nur dahin gelangen könnte. Wasser aus dem Hahn trinken, jemanden kennen lernen.
    Eins, mein Sohn, spricht der Vater jetzt wie ein Vater, eins muss ich dir lassen: Du hast dich wacker geschlagen all die Jahre, und das ohne die Unterstützung eines Klans. Dafür bewundere ich dich. Für mich war das keine große Kunst. Niemals verzweifelt zu sein, ist keine Kunst für einen, der keine Vorstellung davon hat. Und eine Vorstellung davon hat nur, wer es schon einmal war. Entweder, man ist es oder man ist es nicht, und dann weiß man es, oder man weiß es eben nicht. Wer, eins, behauptet zu wissen, was es ist, und dann, zwei, behauptet, es niemals gewesen zu sein: lügt. So wie ich eben gelogen habe. Ich war zumindest schon einmal im Vorhof von diesem Etwas, und ich werde es nie vergessen, auf den Tag genau am elften Juni neunzehnhundertiks.
    Ja, sage ich. Ich erinnere mich gut. Die Ferien fingen an. Du verließest uns ohne ein Wort. Seitdem bist du der, über den man nicht spricht. Du hast Klavier gespielt. Songs. Oh, wie rutschig ist die Bananenschale. Einmal kamst du zur Vertretung. Bis dahin wusste ich gar nicht, dass du Klavier spielen kannst. Vielleicht hast du auch nur so getan als ob. Später satteltest du auf Synthesizer um. Als Alleinunterhalter zogst du durch die Klubs des Westens, wo die Radniks noch zusammen waren. Du trugst einen weißen Anzug, drehtest im Sitzen ein Knie nach außen zwischen den mageren X-Beinen des Synthesizers und zittertest mit dem Fuß. Du trugst weiße Slipper und senffarbene Socken. Die Socken ringelten sich über den Knöcheln. Du hast den Fotoapparat im Bus liegen gelassen, unsere gemeinsamen Fotos vom Ausflug in den Steinbruch sind verloren gegangen, wir beide in riesigen, grauen Hallen, hinter uns die Dunkelheit. Den Rest hat Mira weggeworfen. Nach einer Weile konnte ich mich kaum mehr an dein Gesicht erinnern, aber diesen Knöchel vergesse ich nie. Der Knöchel meines Vaters von den Ausmaßen monumentaler Statuen zittert vor meinen Augen.
    Er lächelt und spielt seine Schnulzen. Gute Musik erzieht gute Menschen. Die Songs meines Vaters haben meinen Vater erzogen. Er spielt und spielt, es interessiert ihn kein bisschen, was ich ihm hier erzähle. Sieht nach zwanzig Jahren seinen Sohn wieder, den er, nebenbei bemerkt, in einer Stadt zurückgelassen hat, in der später ein Krieg ausbrach, und er brachte es fertig, sich die ganzen Jahre nicht einmal zu erkundigen, ob wir noch leben. Wäre ich ein guter Sohn, würde ich dir jetzt die Fresse polieren. Keine Vorwürfe. Einfach nur mit der Faust dorthin schlagen, wo die Nase, meine Nase, anfängt zwischen meinen lilahimmelfarbenen Augen. Dir das Nasenbein in dein feiges Gehirn jagen. Das könnte ich machen, obwohl ich dich, und das sei auch mal gesagt, nicht hasse. Irgendwann, zur Halbzeit, nach der fünften oder sechsten Frau, merkte ich, wie ich anfing, dir die Daumen zu drücken. Aus dem hinteren Zimmer eines Lokals klang Synthesizermusik, jemand übte, verspielte sich ständig, und ich bekam Herzklopfen, weil ich dachte, wir hätten dich gefunden. Da wurde mir klar: Ich drückte dir die Daumen, wir mögen dich nicht finden. So gerecht und ungerecht ist man als Kind.
    Vater lächelt, spielt die Rosamunde. Das ist nett von dir, mein Sohn. Abgesehen davon, sagt er, kann jemand, dessen Hände aus Kreide sind, keine Nasen brechen.
    ???
    Es sind hübsche Hände, wenn ich das so als Mann sagen darf, Pianistenfinger, daran hat’s nicht gemangelt, am Fleiß vielleicht auch nicht, nun ja.
    Was murmelst du da?
    Murmeln, mein Sohn, damit würde ich auch vorsichtig sein. Dass du mir nirgends dazwischengerätst. Du darfst nur ganz zarte Spiele mit deinen Händen aus Kreide spielen, sonst bröckeln sie dir weg. Untern Klavierstuhl, auf den Katheder, in den Straßenstaub. Seinen Vater damit schlagen, geht natürlich schon gar nicht. Deine Schläge wären doch nur wie Schminke in meinem Gesicht. Hält bis zum nächsten Waschbecken.
    Oh, sage ich. So ist das.
    Ja, sagt er, so ist

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