Alle Tage: Roman (German Edition)
Nachmittag und das größte Gebimmel vorbei, überwand Mercedes sich und ging, um irgendwo hinzugehen, weil das gut ist : hinaus, in den Park.
Vielleicht gibt es irgendwo eine einsame Bank. Aber es gab keine einsame Bank, also ging sie weiter und weiter, zweimal über den gesamten staubigen Rundweg am Rand. Um sie herum Picknicks, Fußbälle, Frisbeescheiben, die Gruppe Penner am Südende campiert auch immer noch hier. Andere Spaziergänger, Hunde, Jogger zogen an ihr vorbei. Eine Gruppe, alle in ähnlichen Trikots, gemischte Friedenszeichen, schien das Sprinten zu üben. Mal verfielen sie in ein fluchtartiges Rennen, anschließend trabten sie wieder friedlich vor sich hin. Sie schlurften stark, man hörte sie noch aus der Entfernung, und sie wirbelten eine Menge Staub auf. Mercedes blinzelte. Nachdem sie sie das dritte Mal mit Staub überzogen hatten und sie das zweite Mal von den Hunden der Obdachlosen beschnüffelt worden war, gab sie auf. Weil sie gerade davor stand, nahm sie noch einen Schluck Wasser aus einem Trinkbrunnen und kehrte nach Hause zurück.
Wieder vor dem Spiegel stellte sie fest, dass sie sich einen Sonnenbrand eingehandelt hatte, sie kümmerte sich nicht weiter drum. Den Rest des Nachmittags verbrachte sie mit dem Lesen eines Manuskripts, das sie zu korrigieren hatte, bis sie sich in einen längeren Satz verhedderte, dessen Sinn, wie es sich gehört, sich zuerst von Nebensatz zu Nebensatz immer tiefer greifend entfaltete, doch dann, kurz vor Schluss, verknäulte sich etwas, und plötzlich wusste man nicht mehr … Sie versuchte es einpaar Mal, aber jedes Mal schien die Verwirrung weiter vorwärts zu rücken, irgendwann war schon kurz nach Beginn nicht mehr klar, worum es überhaupt ging, gab es da nicht einen Widerspruch?
Abends war sie bei Freunden eingeladen. Sie holte ihre Freundin Tatjana ab – Du bist ganz rot im Gesicht. Ich weiß –, gemeinsam fuhren sie hinaus.
Sein Name ist Erik, ein alter Freund und kleiner Verleger von Texten zur Zeitgeschichte, nebenbei ihr Chef, seine Frau heißt Maya, sie haben zwei herzige Töchter und ein Haus im Grünen. Eine Minute, nachdem sie aus dem Urlaub zurückgekehrt waren, rief er sie schon an. Als würde er aus dem Nachbargarten herüberrufen. Oder besser vom zweiten Nachbarn aus. Hast du mich vermisst?! Ich habe dich vermisst! Ich kann ohne dich nicht sein! Du musst sofort herkommen! Heute nicht mehr, aber morgen! Morgen ist Samstag! Du besuchst uns in unserem idyllischen Häuschen im schon etwas überreifen, aber umso betäubenderen Sommerendsgrün! Bring den Jungen mit!
Er ist im Ferienlager.
Dann meinetwegen die Hexe (Tatjana)! Sag ihr, sie ist mein persönlicher Gast!
Endlich! rief er jetzt. Das blaue Hemd spannte auf seinem Bauch, aus den Ärmeln ragten kräftige braune Arme, er drückte Mercedes an sich, ihr Gesicht landete zwischen seinen Brustbergen, als sie wieder auftauchte, war sie röter denn je. Maya lächelte ihr zu.
Worüber im Detail geredet worden ist, kann beim besten Willen nicht wiedergegeben werden. Eine übliche Sommerparty. Mercedes setzte sich in einen einsamen Sessel gegenüber der Terrassentür und sah hinaus in die Dunkelheit. Der neue Wind hatte die Mücken aus dem Garten vertrieben, das ist gut, keiner musste ersticken, man konnte zwei Fenster und eine Tür Richtung Terrasse mit späterem Grillengeschrei öffnen, dafür saßen sie jetzt hier drin unter der Decke, späte, träge Mücken. Manchmal überwand sich eine oder ließ einfach los und trudelte herunter. Klatsch! Tatjana schlug sich auf den Oberarm, zwickte die Mückenleiche zwischen zwei Fingern, würzte den Fußboden mit ihr. Erik ließ sich auf die Armlehne von Mercedes Sessel nieder, sein großer, heißer Körper quoll über ihren.
Was ist mit dir?
Nichts.
Später fuhren sie in die Stadt zurück, Tatjana ließ sich an einer Bar absetzen. Mercedes mag keine Bars, außerdem musste sie am nächsten Morgen früh raus. Anschließend lag sie bis um drei Uhr wach, vergaß, den Wecker zu stellen, und hätte am Sonntagmorgen fast verschlafen.
Die Stadt ist nicht unendlich, irgendwann bleiben auch die letzten Lagerhallen zurück, und man kann lange zwischen Baumreihen, Feldern und Gestrüpp fahren, bis man, etwas mehr als eine Stunde später, in den Wäldern ankommt. Wie unkonzentriert sie war, merkte sie, als sie zum wiederholten Male das Gefühl hatte, gerade aufzuwachen: plötzlich war sie ganz woanders in der Landschaft. Dann dachte sie, sie hätte sich
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