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Alle Tage: Roman (German Edition)

Alle Tage: Roman (German Edition)

Titel: Alle Tage: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Terézia Mora
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Jedes Volk bringt seinen Teil in die Weltkultur ein. Bei uns ist es, siehe die Abbildung, der depressive Pessimismus.
    Oh, sagte Janda. Ich dachte, es wären die Paranoia und die Raserei. In Wahrheit, sagte er, ist das hier eine auf Personenkult basierende Diktatur. Er nannte sie die Marschallin und war mehr oder weniger der Einzige, der manchmal Widerworte gab.
    Fresse! sagte Kinga.

    Dass Abel in den ersten vier Jahren gar keine Kontakte pflegte, stimmt also nicht. Nachdem sie sich wieder gefunden hatten, traf er sich sogar recht regelmäßig mit ihr. Manchmal verlangte sie Geld, manchmal nicht.
    Seid nett zu meinem Kleinen, sagte sie zu den anderen. Seid ja freundlich zu meinem Patenkind! Schließlich ernährt es uns!
    Sie lachte glucksend. In Wahrheit lebten sie von allem Möglichen, den Gagen der Musiker und dem, was sie verdiente. Putzen und Babysitten. Zu Hause wäre ich Lehrerin, Tagelöhner der Nation, meine Nachmittage wären nicht viel anders als jetzt. Der Körper, pflegte sie zu sagen, ist heute mein einziges Kapital. Meiner Muttersprache beraubt, spiele ich nur noch als Ackergaul und Sexualobjekt eine Rolle. Nach Janda war sie mit Kontra und dann mit Andre zusammen, dann wieder mit Janda, später mit einem jungen Klarinettisten, der nicht zu der Bande gehörte, und so weiter, zahllose, meist jüngere Geliebte, deren Namen keine Rolle mehr spielen. Zuerst dachten die Musiker, er wäre auch einer von denen, wer weiß, wo aufgegabelt – Im Zug, damals, als wir uns verloren hatten –, aber, wie es scheint, ist es diesmal was anderes. Du kannst dich beruhigen, sagte sie zu Janda. Ich könnte ihn haben, wenn ich nur wollte. Wenn ich ihn nicht habe, heißt das, ich will ihn nicht. Das glaube ich mal nicht, sagte Janda. Man weiß nicht, auf welchen Teil der Behauptung sich das bezog. Tatsache ist, abgesehen von ihr, sieht man ihn weder mit Frauen noch mit Männern. Ich bin ganz ruhig, sagte Janda und dachte nicht daran, nett zum Kleinen zu sein.
    Was hast du?
    Nichts.
    Du redest kein Wort mit ihm. Ihr redet kein Wort mit ihm.
    Was soll ich mit ihm reden?
    Was weiß ich. Woher kommst du? Hast du deinen Blinddarm noch? Sammelst du irgendwas?
    Ob er irgendwas sammelt ?
    Du weißt, was ich meine.
    Nein, sagte Janda. Keine Ahnung. Ich weiß, woher er kommt. Und sein Blinddarm interessiert mich nicht.
    Pause. Dann, leise:
    Was willst du von dem?
    Was denkst du? Nichts.
    Und was will er?
    Was soll er schon wollen? Was willst du?
    Ich will, er zählte es an den Fingern ab: jeden Tag meines Lebens musizieren, für mich und für andere, damit Geld verdienen, Ruhm erlangen, meine Freunde nicht verlieren, eine Frau lieben, von einer Frau geliebt werden, Zärtlichkeit, Fürsorge, regelmäßigen und guten Sex, schmackhafte und nährreiche Speisen – hier gingen ihm die ersten zehn Finger aus, er begann von vorne –, gute Getränke, und schließlich und endlich möchte ich irgendwann einen Ort finden, der mir nicht zu fremd ist und nicht zu bekannt, an dem ich mich in Frieden niederlassen kann mit all dem, was ich eben aufgezählt habe, und leben bis ich schmerzlos und in Gesellschaft sterbe, nicht zu plötzlich, damit ich mich verabschieden kann, aber auch nicht zu langwierig, damit es uns allen nicht zur Last wird, das will ich.
    Siehst du, das ist genau dasselbe, was er auch will.
    Janda zuckte mit den Achseln. Natürlich. Jeder. Das bringt einen auch nicht näher. Wir können ihn nicht leiden, basta.
    Du bist eifersüchtig, sagte Kinga.
    Ts, sagte Janda.
    Kinga tanzte um ihn herum: Du bist eifersüchtig, du bist eifersüchtig!
    Er passt einfach nicht zu uns, das ist alles.
    Er sagte es leise, sie, im Herumtoben, hörte es trotzdem, hielt inne. Mit gerunzelter Stirn und tiefer Stimme:
    Wer zu uns passt, bestimme ich, kapiert?!

Nach dem Frost
    In der Nacht nach Sylvester träumte Kinga von Frost. Alles an der Stadt war aus Eis, nur noch sie fünf waren hier, alle anderen gegangen, und Kinga schrie: Ans Meer! Am Neujahrsmorgen muss man ans Meer! Das Kind war noch nie außerhalb der Stadt! Idiotin, sagte Janda. Alles ist aus Eis. Aber da fuhren sie schon. Die Frontscheibe war ein Prisma aus Frost, dadurch linsten sie auf die Straße vor ihnen. Sie waren die Einzigen unterwegs, alles leer und weiß, sie fuhren im Schritttempo, unter den Rädern knisterte es. Sie fuhren mit dem Kleinbus, mit dem die Jungs sonst auf Tour gingen, es war gleichzeitig heiß und kalt, an den Fenstern zog es scharf herein, trotzdem roch es

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