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Alle Tage: Roman (German Edition)

Alle Tage: Roman (German Edition)

Titel: Alle Tage: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Terézia Mora
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ich?
    Was bist du?
    Was ich bin?
    Traurig? Fröhlich?
    Sie fixierte ihn: Na, was meinst du?
    Sie lachte, wurde ernst, setzte sich wieder gerade hin, Schulter an Schulter. Eine Weile saß sie so neben ihm, wippte mit dem Fuß zur Musik. Der Raum war längst verschwunden hinter Schweiß, Staub und Lärm, als als wären sie nie ausgestiegen, als wäre das noch derselbe ratternde, stinkende Zug, sie musste brüllen:
    Als ich so alt war wie du jetzt, war Janda mein Mann. Tja, und heute lebe ich immer noch von ihm. Mehr oder weniger. Mehr oder weniger leben wir von mehr oder weniger. (Sie lachte.) Und du? Kommst du zurecht?
    Ja.
    Papiere?
    Zu Studienzwecken.
    Du studierst?
    Ja.
    Was?
    Sprachen.
    Welche?
    Er nannte vier.
    Schauschau. Und Geld?
    Ja.
    Was machst du dafür?
    Nichts weiter. Es ist ein Stipendium.
    Von wem?
    Er nannte den Namen der Stiftung.
    Oha! Begabtenförderung, was? Wie viel kriegst du?
    Neunhundert.
    Wie? Im Monat?
    Ja.
    Hm, sagte sie. Sie ließ sich zurück ins Sofa fallen, traf ihn wieder mit der Schulter, erneuter Ameisenlauf bis hinunter in die Finger. Sie hielt die Arme verschränkt, sah zur Tanzfläche oder zumindest in die Richtung. Durch die Tanzenden hindurch erwischte jetzt Abel Jandas Blick. Er sah zurück. Dabei blieben sie. Kinga summte. Summte, summte, summte.
    Am Ende des Abends fragte sie, ob er ihr hundertfünfzig leihen könnte. Ob sie gleich zum Automaten gehen könnten. Dort vorne an der Ecke ist einer. Die Musiker warteten abseits, sie bot ihm Blickschutz, in dem sie sich ganz an seinen Rücken schmiegte. Sie war schwer, ihren Daumen hängte sie in eine seiner Gürtelschlaufen ein, hoffentlich reißt die Hose nicht.
    Danke. Sie ließ die Hose zurückschnippen, küsste ihn feucht auf die Wange, nah am Mund. Danke, mein Kleiner.

    Zur Hälfte Armenierin, ihre Mutter hatte sie Hürchen genannt und sie das eigene Erbrochene essen lassen. Im Wohnheim, in das sie freiwillig zog, waren sie zu vierzehnt auf dem Zimmer, das Taschengeld reichte gerade mal für die Watte, in Wahrheit waren es kratzige kleine Baumwollpflänzchen, frisch vom Acker, beim Laufen stieg leises Quietschen zwischen den Beinen hervor. Mit zwölf sammelte sie Flaschen und Kippen, Rauchen soll die Blutung hemmen, außerdem hemmt es das Wachstum, trotzdem habe ich diese Dinger hier bekommen. Man nannte sie Frau Künstlerin, was bei uns ebenso wenig ein Lob ist wie das andere, aber weißt du, was die mich können, niemand konnte so saufen, raufen und Gedichte aufsagen wie Kinga. Ihr erster Liebhaber war Briefträger, in Zivil ein Dichter, am besten erinnere ich mich an die graue Asche auf dem Metallvorleger vor seinem Ofen, da schaute ich drauf, während er hinter mir lag. Die Siebziger, das war keine schlechte Zeit, obwohl man jeden Tag kotzen musste wegen der Pille, und mein eigener Frauenarzt nannte mich Hure. Andererseits war das Meer himmelblau, und wir hatten den besten Pass der Welt. Hja!, meine Lieben, damals waren wir noch wer! Schriftstellerin wollte sie werden, eine Muse bin ich geworden, nicht wahr, mein Schatz, das bin ich doch?
    Klar, sagt Janda, was denn sonst.
    Sie kennen sich aus dem Studium, eine leidenschaftliche Geschichte, Küsse und Schläge, während drei andere Mädchen im Zimmer sich schlafend stellten. Sie hatte Ärger mit einem Kerl, er mit dem Gesetz, und überhaupt hatten sie die Nase gerade ziemlich voll, trotzdem sollte es nicht mehr als eine Sommerfahrt werden, Reisen gegen den Unmut, und jetzt.
    Das Wichtigste ist, sagte Kinga, nicht in ein Lager zu gehen. Wenn du in ein Lager gehst, bist du erledigt. Unabhängig bleiben, egal wie. Ihre Wohnung war eigentlich der freundlicherweise so gut wie für nichts überlassene Probenraum der Musiker. Er hatte die Form eines Ls. Im kürzeren Schenkel wurde größtenteils geschlafen, im längeren alles Mögliche gemacht. An der Stirnseite stand eine Kochmaschine, ein Wasserhahn für alles, Klo im Treppenhaus. Kinga sah das alles und beschloss, genau hier zu bleiben. Neue Staaten sind gerade groß in Mode, warum sollte ausgerechnet ich keinen haben. Hiermit erkläre ich zu Ehren meines Großvaters Gabriel feierlich die Unabhängigkeit der Anarchia Kingania. Nieder mit den Despoten, den Heerführern, den Sklavenhaltern und den Medien! Es lebe der freie Mensch, der Hedonismus und die Steuerhinterziehung!
    Sie lachte, alle lächelten, ausgenommen Janda, dessen Art das nicht ist. Immer diese skeptische Fresse.
    Kinga zeigte mit dem Finger in sein Gesicht:

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