Alle Tage: Roman (German Edition)
Schenkel, unbequem, sie legte sich um in seinen Schoß und schlief ein. Eine Weile blieb er unter ihr sitzen, später rollte er ihren Kopf behutsam auf ein Kissen und setzte in der Küche Wasser auf.
Später erwachte sie, oder nein, schon früher, vom Simmern, sie tat nur so, als schliefe sie noch. Wartete, bis er nackt in der blauen Plastiksitzbadewanne hockte, seit drei Tagen nicht gewaschen, jetzt bis zu den Knöcheln im Wasser. Sie stand auf, kam zu ihm, half ihm, Wasser über den Kopf zu schütten, wusch ihm den Rücken. Steh auf, sagte sie. Er stand tropfend in der Kälte, sie wusch ihn mit einem Lappen, rubbelte ihn ab, befahl ihn ins Bett zurück, brachte ihm heißen, etwas zu bitteren Tee. Mein Kleiner. Kannst bleiben, solange du willst.
Danke, sagte Abel.
Er blieb den Rest des Winters.
In der Enklave
Wir leben hier in einer Enklave, sagte Kinga. Was folgt daraus? Daraus folgt zum einen, dass alles jetzt ist. Aussagen, die Zukunft betreffend, können zwar gemacht werden, aber das ist auch nicht mehr als ein Kaffeebohnenorakel. Heute sind mir exakt vier Kaffeebohnen aus der Mühle gefallen. Lässt sich daraus etwas über meinen Tag schließen oder nicht? Oder nehmen wir die Vögel. Wie viele und welche Sorten sind an meinem Fenster vorbei geflogen, während ich mich bemühte, wach zu werden?
Zum anderen folgte daraus die Abwesenheit eines bis dahin gewohnten Komforts. Nach der vollautomatisierten Bastille musste hier mit zeitweiligen Stromausfällen gerechnet werden, oder plötzlich färbte sich das Wasser braun wie Kaffee. Die Kochmaschine erwärmte einen Radius von einem Meter, soviel zur Heizung. Zwar gab es auch noch einen mit Papieren voll gestopften alten Eisenofen, allerdings war er an keinen Kamin angeschlossen. Kinga stopfte ihre eigenen Papiere hinein, missratene Liebesbriefe , und es war immer noch Platz für mehr. Sehet, das Magische Schwarze Loch in der Mitte meines Universums. Für Notfälle gab es außerdem noch den steinzeitlichen Heizventilator, der lärmend den Gestank verbrannten Staubes umwälzte, aber wenn man ihn in Betrieb halten wollte, musste man sämtliche anderen elektrischen Geräte: Kühlschrank, Glühbirne etc. abschalten. Zum Glück war es ein milder Winter, von dem erträumten Eis keine Spur. Normalerweise wäre Kinga trotzdem zu einem der Musiker gezogen, sie hatten Wohnungen mit verschiedenen Heizarten, aber es war unausgesprochen klar, dass es für das Kind keinen Platz gab, also blieb auch Kinga, trotzig, wir werden uns schon gegenseitig wärmen, nicht wahr, mein Kleiner?
Alles in allem war es kein schlechtes Leben in Kingania. Die ersten Wochen des neuen Jahres waren ruhig. Was nach Chaos aussah, war in Wirklichkeit eine Folge immer gleicher Tage. Wenn sie putzen musste, ging Kinga früh, anschließend hütete sie Kinder von Leuten, die verrückt genug (Janda) waren, sie ihr anzuvertrauen. Bis in den Nachmittag hinein war Abel allein. Wenn es nach ihm gegangen wäre, hätte er den kürzeren Schenkel des Ls überhaupt nicht mehr verlassen. Winterschlaf halten. Oder zumindest: Winter. Eine zunehmend nach Mensch riechende Matratzenecke neben dem Fenster, durch das man schaut oder nicht, eine Höhle, was braucht der Mensch mehr. Als Kind habe ich in einem Schrank gewohnt. Später am Tag kamen die Musiker. Am häufigsten und immer als Erster Kontra, der Jüngste, ordentlicher Musikstudent. Er übte einige Stunden Kontrabassparts der Klassik und der Moderne. Abel saß in der Ecke und hörte ihm zu. Sie sprachen nicht. Außer der Begrüßung wechselten die Musiker kein Wort mit ihm. Sie übten oder unterbrachen das Üben, um zu kochen, rauchen, trinken oder wenn Sport oder Nachrichten im Fernsehen (kleines Schwarzweißgerät und ein nasser Draht) kamen. Auf dem Herd röchelte pausenlos der Kaffeekocher, simmerte der Glühwein, die Dämpfe füllten das ganze Zimmer und das Treppenhaus aus. Später kam Kinga nach Hause, und sie setzten sich in einen Kreis, um zu essen. Sie gaben für unsere Verhältnisse sehr viel Geld für Essen aus, gutes Essen, das ist das Wichtigste. Später am Abend war Trinken das Wichtigste. Die offizielle Währung in Kingania war der Sliwo, sie soffen, also, das lässt sich nicht beschreiben. Sie vertrugen, jeder von ihnen, so viel, dass es harte Arbeit war, überhaupt betrunken zu werden. Bis auf Kontra, der nur trank, um die Wirkung des Grases zu verstärken, und auf Abel, der einfach nie betrunken wurde. Der Junge ist ein unter anderem
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