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Alle Tage: Roman (German Edition)

Alle Tage: Roman (German Edition)

Titel: Alle Tage: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Terézia Mora
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muffig, plus der Gestank der glühenden Heizung. Die Eisblumen an den Fenstern schmolzen nicht, man sah nichts, bis auf den kleinen Tunnel vorne. Wir werden das Meer nie sehen, sagte Andre. Wir werden vorher blind werden. Kontra kratzte mit dem Daumennagel geduldig die Eisblumen von seiner Fensterscheibe. Quietsch, quietsch, kratz, kratz. Ich weiß nicht wieso, aber ich hatte das Gefühl, das ist falsch, das dürfte er nicht tun. Ein Loch in das Ganze kratzen. Das ist genau unsere Form, sagte Janda. Er trank aus einer Thermoskanne schwarzen Kaffee mit Wodka. Lasst mich fahren! schrie Kinga. Aber du fährst doch schon die ganze Zeit! Tatsächlich. Dann ist ja gut, dann gibt es nichts mehr, das uns hindern könnte! Sie lachte. Eine Sekunde später knobelten sie auch schon quietschend durch den frostigen Sand. Schaut, schaut! rief Kinga. Seht ihr das? Seht ihr das? Gefrorene Wellen! Gefrorene Wellen! Sie merkte, dass sie alles zweimal rief, und lachte. Aber sie lachte auch vor Freude. Hast du so was schon gesehen, Kind? schrie sie Abel an und zog ihn an sich heran. Wie denn, sagte Andre. Wenn er die Stadt noch nie verlassen hat. Dann standen sie da, alle fünf, untergehakt: Janda, Kinga, Abel, Andre, Kontra, in dieser Reihenfolge. Niemand außer ihnen war auf dem Strand. Sie schauten sich das gefrorene Meer an. Ich liebe euch, wollte Kinga noch sagen, aber dann wachte sie auf.
    Öffnete die Augen, schaute zum Fenster, dahinter war tatsächlich alles weiß, ist es denn die Möglichkeit, ich auf die Knie, Fenster aufgerissen, zitternd vor Angst, Freude, Kälte, wie das so ist, wenn man gerade aufgewacht ist. Aber dann sah sie, dass es nur Nebel war, der Boden darunter dunkel und feucht, ein bisschen Schießpulvergeruch, dazu der Partygestank, der links und rechts neben ihr hinauszog, da war mir klar: Ich hab’s nur geträumt.

    Sie erzählte es in der Küche den Musikern. Dazu gab es einen neuen Geruch: etwas zu stark gerösteten Kaffee. Abel öffnete die Augen. Das Fenster, unter dem Kinga zu seinen Füßen zusammengerollt geschlafen hatte, stand offen. Nebel quoll herein, kroch über den Boden, auf dem wie angespült der Müll lag, Lebensmittel verbunden mit Asche, Stoffen, Papier. Als hätte die Bombe eingeschlagen . Jetzt, da die Masse fort war, war es erst richtig zu sehen. Die Einrichtung in Kingania bestand im Wesentlichen aus Matratzen, Kartons und Koffern, voll gestopft mit allem, was man zum Leben braucht oder nicht: Kleider, Bücher, Musikinstrumente, Töpfe. Zwischen den Behältnissen lagerten Endmoränen aus losem Krimskrams von der Aluminiumschöpfkelle bis zur Fliegenklatsche, dabei gab es hier überhaupt keine Fliegen.
    Jessasmaria, was für ein Schweinestall! Kinga, fröhlich, stampfte durch den Abfall wie durch frischen Schnee, ein Einmachglas mit Scheinen und Münzen in der Hand. Dass sich die nicht gerade wenigen Gäste, die immer auch noch welche mitbringen, die keiner kennt, die sich aber aufführen, als wären sie hier zu Hause, an den Kosten für die Getränke beteiligen, ist nur recht und billig. Wir leben alle am Rande des Nichts. Das winzige Plus, das am Ende übrig bleibt! Sag nicht, ich betriebe eine illegale Kneipe!
    Morgen, mein Kleiner!
    Nach einer langen Nacht riechender Kuss. Sie setzte sich zu ihm auf die Matratze, kreuzte die Beine, schüttelte das Geld aus dem Glas, fing an, es zu zählen. Kontra und Andre räumten auf, Janda nahm den Kloschlüssel und ging hinaus. Das Kind blieb, wo es war.

    Im Grunde, könnte man sagen, war nichts Gravierendes passiert. Nicht einmal sechsunddreißig Stunden bei der Polizei. Dann allerdings, kurz bevor sie ihn entließen, Tibor wartete bereits seit geraumer Zeit, setzte sich ein väterlicher Typ zu Abel, oder wie du auch immer heißen magst. Ein dünner, vierzigjähriger, aber doch: väterlicher Typ. Setzte sich vor ihm hin, die hochgeschraubte Schreibtischlampe strömte spürbar Wärme aus und ein gestreutes Licht, von rechts oben, wie in sakralen Gemälden, eine Hälfte des Mannes leuchtete auf, und auch wie er die Hände auf dem Tisch faltete, hatte etwas von Lasset uns beten. Dazu der Tonfall, zurückgenommen und respektvoll, Respekt vor etwas, das nicht im Raum war oder doch, vor etwas Höherem, das nennt man bei uns Gesetz und Ordnung. So hob er an, in etwa Folgendes zu sagen:
    Du bist jung, mein Sohn , und du bist allein. Das Leben, das zunächst vorgaukelte, ein so leichtes zu sein, hat sich als ein hartes herausgestellt. Die Staaten, die

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