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Alle Tage: Roman (German Edition)

Alle Tage: Roman (German Edition)

Titel: Alle Tage: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Terézia Mora
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scheinbar langsamen Prozesse, mit denen wir uns annähern, sagen wir: dem Lebenbis-wir-sterben, werden plötzlich beschleunigt und kommen außer Takt. Das kann man nicht erklären, sagte eine langjährige Geliebte zu einem arbeitslosen Schornsteinfeger, oder er hat es einfach nicht begriffen. Wie Liebe kommt und geht. Es schien, er wollte gar nicht, dass sie fortdauerte, er wollte nur eine Erklärung, jenseits von »weil du oder ich so oder so bist/bin, weil das und das passiert ist«. Denn es ist ja nichts passiert, und jeder ist, wie er ist, darum geht es nicht. Das kann man nicht erklären, sagte die Geliebte. Kurz darauf heiratete sie einen, den sie erst wenige Wochen kannte, und der Schornsteinfeger zündete vier Dachstühle und einen Kiosk an. Mercedes stand auf der Straße, es regnete Dachziegel auf sie herab.

    Dass in Mercedes’ Leben bis zu diesem Punkt alles, wie es heißt: planmäßig verlaufen wäre, kann man so auch nicht sagen. Ihre Kindheit war schön, ihre Eltern waren Hippies, ließen sich’s auf Staatskosten auf einem karibischen Campingplatz gut gehen, eine ganze Windelphase lang. Ihr nackter Unterleib das Hauptmotiv in diesem Bild. Zwanzig Jahre später verliebte sie sich. Sein Name war Amir. Er war so schön und so schwarz, dass sie, in der Dämmerung oder wenn es sehr hell oder sehr dunkel war, sein Gesicht und den Rest seines Körpers kaum erkennen konnte. Ein perfekter Ebenholzmann, ein edler und geheimnisvoller Prinz, er kam gerne spät nachts und kroch im Dunkeln über sie. Sie waren fünf Jahre zusammen, während derer er immer nur noch schöner, edler und geheimnisvoller wurde. Im ersten Jahr redete er fünfmal mehr als im zweiten. Sie erfuhr über verkehrt herum eingepflanzte Bäume, deren Holz aus Wasser ist, und wenn man nachts zum Stausee fährt und glaubt, den Baum in lichterlohen Flammen zu sehen, wird er am nächsten Morgen ganz und gar unversehrt sein. Das ist Schwarze Magie. Gegen Ende sagte er so gut wie gar nichts mehr. Zumindest zu ihr nicht, zu anderen redete er durchaus. Er konnte gut sprechen, er war klug und attraktiv, er wurde zum Sprecher der Gruppe gewählt. In der Gruppe waren einige, an deren Namen man sich gar nicht mehr erinnert, und auch nicht, wie es dazu kam, dass sie plötzlich die ganze Diskussion beherrschten. Plötzlich beherrschten sie die ganze Diskussion. Er war der Sprecher, also diskutierte er mit ihnen bis spät in die Nacht, dann kam er zu ihr und weckte sie mit seinem Gewicht. Wie er sich das vorstelle mit der weißen Frau, fragten die in der Gruppe. Er sagte: Das geht euch einen feuchten an. Sie sagten: Du bist nicht mehr für sie als ein Haustier. Er bat sie, während des Aktes nicht zu sprechen und auch nicht zu stöhnen. Sie ist deiner nicht würdig, sagten die in der Gruppe. Das weißt du so gut wie wir. Du gehst heimlich zu ihr, nachts, weil du sie selbst nicht sehen kannst. Er sagte: Schlangen. Sie bewegten obszön die Zungen. Er sagte, ich will deine sogenannten toleranten Eltern nicht mehr sehen. Sie behandeln mich wie einen sprechenden Affen. Am Ende sagte er kein Wort, er kam einfach nicht mehr. Sie wurde blass vor Schlaflosigkeit. Sie kletterte über den Zaun des Wohnheims und schürfte sich die Innenseite der Schenkel auf. Jeder Stoß wie mit Schmirgelpapier, aber weder verlor sie ein Wort darüber noch stöhnte sie während des Aktes. Er verschwand drei Wochen später, ahnungslos, sie trug das Kind drei Wochen zu lang. Als es geboren wurde, hatte es ein kleines blaues und ein großes schwarzes Auge. Sie nannte es nach dem Vater: Omar. Ich heiße Omar, das bedeutet Lösung, Ausweg, Mittel.
    Später fing sie eine Promotion an. Ihr Professor war ein vergilbter Greis, ein Gesicht wie eine Tropfsteinhöhle, die Haut hing ihm in Zapfen von den Augen. Er war so hässlich, wie er klug war, und so eitel auch. Nachdem seine zweite Frau still und diskret wie es ihre Art war, gestorben war, zog Mercedes bei ihm ein, weil es so leichter war, alles für ihn zu tun. Als dann Tibor kurz vor seinem fünfundsechzigsten Geburtstag erfuhr, dass er der lieben Anna bald nachfolgen würde, sagte er zu seiner jungen Lebensgefährtin: Ich möchte in den nächsten Wochen nicht gestört werden. Ich werde bald sterben, aber vorher will ich das Buch noch zu Ende schreiben. Sie nickte. Ihre Augen immer, als wären sie verweint. Ich stellte ihm das Essen vor die Tür wie einem… Es blieb ihm nur noch Zeit für ein letztes Kapitel. Der Verleger sagt, es sei sehr

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