Alle Tage: Roman (German Edition)
schön, es habe nur nichts mit dem Rest des Buches zu tun, nichts mit der Geschichte der Rhetorik, es habe etwas mit dem Tod zu tun, Angst und Wut, und sei in diesem Sinne sehr ergreifend und befremdlich, zum Beispiel dieser letzte Satz hier, wie er wohl darauf gekommen ist: Gott sei ein bespeicheltes Stück Hundespielzeug … Diagnose im Mai, im August war er tot. Natürlich, sagt eine gewöhnlich gut informierte Freundin der jungen Witwe, hat er sich einen Dreck darum gekümmert, ihr auch nur eine Rolle Klopapier zu hinterlassen, sie musste sogar um ihre eigenen Möbel kämpfen. Zum Glück hatte sie das Manuskript und die Tagebücher aus dem Haus geschafft, bevor seine Kinder aus erster Ehe eintrafen. In seinen Tagebüchern widmet sich T.B. im Wesentlichen denselben Fragen wie in seinen Büchern und Manuskripten. Manchmal notiert er das Wetter des Tages, eine skurrile Beobachtung, wichtigere geschäftliche Anrufe. U.E. rief an. Seine Lebensgefährtin oder deren Sohn erwähnt er in fünf Jahren mit keinem einzigen Wort. Aber abgesehen davon, behauptet Mercedes, habe sie keinen Grund zur Klage. Wenn es auch immer wieder Anlass zu Befremdung und Trauer gibt, alles in allem war ich immer und bin ich auch jetzt: glücklich. Da ist zum Beispiel Omar und die Anstellung an einer Privatschule, ich bin gerne Lehrerin, außerdem ist das Schulgeld für die eigenen Kinder reduziert, wenn man dort arbeitet.
An dem Tag, um den es hier geht, dem entscheidenden Montag , hatte sie die gröbste Hölle, den Sommer, hinter sich. Sie hatten eine neue Wohnung bezogen, das Schuljahr hatte angefangen, nun war sie, zwei Leerstunden, mit einem Blumenstrauß in der Hand und einem Buch unter dem Arm unterwegs zu einem Krankenbesuch. Ein liebenswürdiger älterer Kollege war aus heiterem Himmel in einen quasireligiösen Streit mit dem Direktor der konfessionellen Schule – Konfessionell, aber ansonsten sehr gut! (Mercedes) – zum Thema Darwin versus die Kreationisten geraten. Es ging wochenlang hin und her, und das Ende war, dass der Kollege, sein Name ist Adam Gdansky, in der Psychiatrie landete. Mercedes war der Meinung, man hätte ihn so kurz vor der Pensionierung nicht unbedingt als alten Spinner denunzieren müssen, andererseits muss das nicht der einzige Grund für diesen Nervenzusammenbruch gewesen sein, was weiß man schon von anderen.
Was ging zum Beispiel in dem Taxifahrer vor, sein Name ist auf einem kleinen Schild am Armaturenbrett zu lesen, vielleicht hatte er ein schlechtes Wochenende – erst hieß es, er könne den Jungen beide Tage haben, dann hieß es plötzlich, nur den Sonntagvormittag, und so weiter, am Ende stand er unter ihrem Fenster, brüllte aber nicht hoch, ihr Neuer ist Polizist –, nichtsdestotrotz nahm er Montag früh ganz normal seinen Dienst auf. Seine erste Fahrt führte ihn ins Bahnhofsviertel. Er nahm eine Straße, die er immer nahm, dieselbe, in der an diesem Morgen kurz vorher ein Gebäude in Flammen aufgegangen war. Die angesengten Dachziegel schossen pfeifend in die Höhe, zerbarsten auf dem Gehsteig, schlitterten auf die Fahrbahn, das Taxi aber, wie Zeugen später berichteten, raste einfach drauf zu, um erst in letzter Sekunde, als hätte der Fahrer, Tom, sein Vorname ist: Tom, da erst gemerkt, was er vor sich hat, doch noch zu bremsen. Das Heck des Wagens brach aus und kollidierte mit einem gerade ankommenden Polizeiauto. Der Taxifahrer Tom, dessen dritter Unfall das in kurzer Folge war, setzte zurück und versuchte zu wenden, fuhr dabei über den Gehsteig, und wieder mit zuviel Schwung, so dass er trotz gleich wieder eingeleiteter Vollbremsung - - -
Ich habe genug vom Ganzen! Ich habe genug, hört ihr! Ich habe die Schnauze voll! Er sprang, ohne den Motor auszustellen, aus dem Fahrzeug, würdigte die auf ihn zukommenden Polizisten keines Blickes, er schrie die Gruppe der Schaulustigen an: Ich habe genug! Hört ihr?! Ich habe genug! Zwischen ihnen und ihm, auf dem Gehsteig sitzend, während rundherum immer noch die Dachziegel einschlugen: Abel Nemas zukünftige Frau.
In der einen Hand der Blumenstrauß, mit der anderen greift sie in die Luft, sich an etwas festhalten, da ist nichts, sie schafft es trotzdem, den Fall irgendwie zu bremsen, das Buch gerät unter sie, ein größerer Bildband. Sitzt auf dem Buch, Aug in Auge mit der Stoßstange, irgendwie brav , der Rücken gerade, der gebrochene Knöchel liegt unter dem Auto, man sieht ihn nicht. Träume ich, oder hat mich gerade ein Taxi angefahren?
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