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Alle Toten fliegen hoch: Amerika

Alle Toten fliegen hoch: Amerika

Titel: Alle Toten fliegen hoch: Amerika Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joachim Meyerhoff
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Eingängen der Kaufhäuser verschluckt und durch die Hinterausgänge wieder ausgeschieden worden waren und sich die Lage entspannte.
    Die Dachbodentür war eingetreten und an einem staubigen Tisch saßen im Zwielicht einer von Spinnweben verfinsterten Deckenfunzel mehrere Gestalten und summten. Kerzen brannten in den Winkeln der Dachbalken und tropften ihren schmelzenden Takt auf die Pappkartons. Kisten standen offen. Am Kopfende der Festtafel erkannte ich im flackernden Kerzenschein Blake Wiseman, The Shy Tiger. Er trug einen großen Damenhut und dirigierte die summende Versammlung. Nun sah ich, dass er nicht der Einzige war, der sich kostümiert hatte. Mehrere Jungen trugen Kleider und waren geschminkt. Ein Mädchen hatte einen Zylinder auf und hielt eine Meerschaumpfeife in der Hand. Vor Blake auf dem Tisch standen mehrere Medizinfläschchen aus Glas und Pillendosen ohne Etiketten. Er goss einen dickflüssigen roten Sirup auf einen Löffel und dekorierte den Saft mit einer Tablette. Das Mädchen mit dem Zylinder kam zu ihm, das Summen wurde lauter, sie öffnete den Mund, und Blake verabreichte ihr den kleinen Cocktail. Bevor ich den Raum verließ, sah ich noch, wie sich auch die anderen vor Blake in einer Reihe anstellten.
    Ich ließ mich wieder hinunterquetschen und landete in einem Kinderzimmer, in dem eine Horde von Schülern um einen Fernseher herum hockte und »Oh No!« und »Oh my God, I can’t believe this!« brüllten. Einige der Mädchen hatten sich die Hände vors Gesicht geschlagen. Jennifer McKee, der Musicalstar, drängelte und prügelte sich schließlich den Weg frei, floh aus dem Zimmer, rief: »That’s disgusting!« Ich schob mich vor, ließ mich schieben und sah den Fernseher. Drei asiatisch aussehende Männer machten sich an etwas Haarigem zu schaffen. Waren das echte Asiaten oder hatten sie Masken auf? Ich arbeitete mich näher heran. Musste in die Knie gehen, da hinter mir jemand schimpfte, ich würde ihm die Sicht versperren. Was war das für eine haarige Puppe? Jemand in einem Affenkostüm? Was taten die Männer? War das ein echter Affe? Im überfüllten Zimmer wurde gelacht. Jemand warf das Kopfkissen des Kinderbetts nach dem Fernseher. Ich versuchte, die Heiterkeit um mich herum mit dem in Einklang zu bringen, was ich nicht erkennen konnte. War es ein Witzfilm? Da setzte sich das Bild zusammen. Schlagartig. Mit voller Wucht traf mich das, was ich sah. Drei Männer und ein Orang-Utan. Sie vergewaltigten den Orang-Utan. Der eine kniete hinter ihm, der andere knetete die kleinen haarigen Affenbrüste, und der dritte onanierte ihm ins Gesicht. Der Orang-Utan hatte die Augen geschlossen. War er tot? Betäubt? Jemand rief: »He gives him doggy style!« Jemand anderes: »I love Borneo Porn!« Ich kroch zwischen Beinen hindurch und drängte mich aus dem Zimmer. Über eine Stunde lang suchte ich nach Jerry und fand ihn schließlich mit einem Bier auf der Ladefläche eines Pick-up-Trucks. Zusammen mit Tim Rainwater und Lance Hogan. Ich war froh, sie endlich gefunden zu haben. Ich kletterte zu ihnen, bekam auch ein Bier mit Schraubverschluss und versuchte, in großen Schlucken die Bilder aus dem Kopf zu spülen. Kurz nachdem ich den Affenporno gesehen hatte, war ich schon wieder sicher, mich getäuscht zu haben. So etwas konnte und durfte es nicht geben. Doch Jahre später las ich von einer Krankenstation für mit Hepatitis infizierte Orang-Utans. Narkotisiert wurden sie zu reichen Freiern in die Wohnungen gebracht und missbraucht. Sie galten unter asiatischen Männern mit abstrusen Neigungen als etwas ganz Besonderes.
    Eine Ewigkeit saßen wir auf dieser Ladefläche, tranken Bier, froren und grölten ein bisschen herum. Sprachen über Basketball, über die verkorkste Saison. Von zweiundzwanzig Spielen hatten wir zwölf verloren. Eine miese Bilanz. Tim Rainwater senkte die Stimme und verfluchte die Wiseman-Brüder. Über Coach Carter beklagten wir uns nie. Um uns herum rangierten sich die Autos aus ihren Gartenparklücken, fuhren sich fest und pflügten grasspuckend den Rasen um. Ein monströser Riesentruck wühlte sich mit jaulendem Motor tiefer und tiefer in den erdigen Untergrund und bombardierte das Haus mit Dreck, die Erde flog durch die Luft, gegen die Hauswand, hinein in die geöffneten Fenster. Als wir sahen, wie zwei betrunkene Footballspieler torkelnd die Couch und die Sessel auf ihren Pick-up luden und mit ihnen davonfuhren, brüllten wir vor Lachen. Ich rief, ohne auch nur eine Sekunde

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