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Alle Toten fliegen hoch: Amerika

Alle Toten fliegen hoch: Amerika

Titel: Alle Toten fliegen hoch: Amerika Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joachim Meyerhoff
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an die richtigen Vokabeln zu denken: »These crazy footballjerks are stealing the goddamn couch!«
    Uns wurde zu kalt und wir gingen ins Haus. Nun wurde tatsächlich getanzt. Und da sah ich Maureen. Mit einer mir von der Form her wohlvertrauten Flasche in der Hand stand sie auf der Tanzfläche. Sie bewegte sich nicht viel, aber wie sie sich bewegte, gefiel mir. Ab und zu trank sie aus der Flasche und ich sah, wie sie die Flüssigkeit nicht gleich hinunterschluckte, sondern im Mund ließ. Sie schien dieses süße Erdbeerzeug wirklich zu mögen. Ich stellte mich vor sie, und ohne auch nur im Mindesten überrascht zu sein, legte sie mir ihren freien Arm um die Hüfte und ihren Kopf auf die Brust. So tanzten wir in kleinen Seit- und Vor- und Zurückschritten über das Gras und die Erdklumpen auf dem Teppich, bis die Platte zu Ende war. Jerry kam zu mir: »Boy, I’m tired. Let’s go now!« Doch ich wollte nicht gehen. Jerry sah meine Unschlüssigkeit, schaute zu Maureen hinüber und sagte: »Go for it, German. I’ll wait in the car. Hurry up!«
    Maureen nahm mich bei der Hand und führte mich in den ersten Stock. Zog mich ins verwüstete Badezimmer und schloss uns ein. Sie warf die leeren Bierdosen und zerknüllten Handtücher aus der Badewanne und drehte das Wasser auf. Wir zogen uns bis auf die Unterhosen aus und wollten hineinsteigen. Viel zu heiß. Wir drehten das kalte Wasser auf, saßen auf dem Rand, tunkten immer wieder kurz unsere Zehen hinein und tranken dabei den Rest Erdbeerschnaps. Wir legten uns in die Wanne. Sie tauchte, ließ sich rücklings unter die Oberfläche gleiten. Ich sah ihr Gesicht unter Wasser. Mit offenen Augen lag sie am Grund der Wanne und schielte. Als sie wieder auftauchte, strich sie sich ihre Haare glatt. Was für eine Verwandlung! Die Steinfrisur, die aussah, als wäre sie für alle Ewigkeit auf ihren Kopf gemauert worden, hatte sich innerhalb von nur fünf Sekunden aufgelöst. Sie spuckte mir Wasser ins Gesicht. Zog erst sich mit den Händen, dann mir mit den Füßen die Unterhose herunter und warf sie nach mir. Maureen setzte sich auf meinen Schoß und küsste mich. Küsste mich auf diese mir unerklärliche Art und Weise. Mein Gott, wie ich das vermisst hatte. Ihre Erdbeerschnapsfahne, ihre kreisenden Hüften, ihre eigenartige Kusstechnik und ihre nassen, glatten Haare! Das Wasser schwappte über den Badewannenrand und sie flüsterte »Don’t move!« und dann wieder »Move!«. Und dann wieder »Don’t move!«.
    Als wir aus dem Bad kamen, war es vollkommen still geworden im Haus. Wir gingen die Treppe hinunter. Im Wohnzimmer hob ein Junge einen Bilderrahmen mit zerbrochenem Glas vom Boden auf. Er sah sich im Zimmer um, machte einen großen Schritt über eine Pfütze Erbrochenes hinweg und hängte ihn, zersplittert wie er war, an die Wand. Mit der Fußspitze schob er einen Erdklumpen beiseite. Wir gingen an dem Jungen vorbei, sagten beide »Hi!«. Der Junge sah uns an, bückte sich, hob ein Büschel Gras auf und betrachtete es fassungslos. Sehr ernst, sehr erschüttert sagte er »Hi« und zeigte mit dem Finger auf eine matschige Spur an der Wand. Maureen und ich folgten den Stiefelabdrücken. Sie spazierten hoch bis zur Zimmerdecke, an der Zimmerdecke entlang, an der Lampe vorbei und an der gegenüberliegenden Wand wieder hinunter. Wir winkten dem Jungen und verließen das leer geräumte Wohnzimmer. Vor dem Haus fragte ich Maureen: »Who was that guy?« »Oh, he was our host tonight: Rudy Robinson!« Es standen nur noch zwei Autos auf der Straße. Maureens und weiter hinten noch eines. Jerry saß im beschlagenen Auto. Ich sah ihn durch die Scheibe verschwommen im Nebel liegen, mit offenem Mund, wie ein Toter. »Are you sure you can drive?«, fragte ich Maureen. »Girls from the countryside can always drive.« »I can give you a ride!« »You’re not even allowed to drive! I have experience with this. Don’t forget: I’m the man!« Wir küssten uns. Sie stieg ins Auto, kurbelte die Scheibe runter. »This time we should keep in touch, German. Don’t drop me again, okay?« »Yes. Okay!« Sie fuhr in Schlangenlinien davon. Ich versuchte, Jerry zu wecken. Doch The Fridge war betrunken und im Tiefschlaf. Ich drehte das Radio an und rüttelte ihn an den Schultern. Er wurde gar nicht richtig wach. Vom Beifahrersitz aus musste ich schalten und lenken. Von außen sollte es so wirken, als ob er fuhr. Mehrmals fielen ihm die Hände vom Steuer. Es kam mir so vor, als würde ich einer Leiche

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