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Alle Toten fliegen hoch: Amerika

Alle Toten fliegen hoch: Amerika

Titel: Alle Toten fliegen hoch: Amerika Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joachim Meyerhoff
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Fahrt prusteten die beiden mehrmals los, wenn sie sich daran erinnerten, und mir wurde diese erste Etappe meiner Auswanderung länger und länger.
    Drei Stunden vor meinem Abflug kamen wir in Frankfurt am Flughafen an. Der Abschied von meinem Bruder dauerte keine zwei Minuten. Wir hielten direkt vor dem Terminal, da ich meine schweren Taschen nicht so weit schleppen wollte. Mein Bruder half mir beim Ausladen. Ich holte mir einen Gepäckwagen. Kam zurück. Da stand schon ein Parkplatzwächter bei meinem Bruder und rief: »Fahren Sie weiter. Sehen Sie nicht die Schlange? Hier ist nur Entladezone. Fahren Sie bitte weiter!« Ich umarmte meinen Bruder und sagte: »Bis bald!« »Bis bald? Du bist gut. Mach keinen Blödsinn, Bruderherz, und grüß mir die Cowboys!« »Mach ich.« Hinter uns hupte jemand. Ich verabschiedete den besten Freund meines Bruders, der gar nicht ausgestiegen war und mir durch die heruntergekurbelte Scheibe die Hand gab. Mein Bruder nickte mir zu und stieg ein. Für einen Moment legte ich meine Hand auf das warme Autodach. Es fuhr unter meiner Hand davon. Ich sah dem Auto nach, bis es hinter einer Biegung verschwunden war. Jetzt war ich allein. Endlich allein.
    Ich schob den schwer beladenen Gepäckwagen in die Abflughalle hinein und suchte nach einer Telefonzelle, um meine Freundin anzurufen. »Hallo, ich bins.« »Na.« »Bin gerade in Frankfurt angekommen!« »Aha.« »Die sind gefahren wie die Idioten!« »Echt?« »Was machst du gerade?« »Lieg auf dem Bett und höre Musik.« »Was denn?« »Ach, irgendwas.« »Nee, sag mal was?« »Eine von deinen Kassetten.« »Tut mir so leid wegen heute Morgen!« Keine Antwort. »Wirklich! Ich wollte auf einmal so schnell wie möglich weg!« »Schon gut. Wie lange hast du jetzt noch Zeit?« »Drei Stunden. Bin viel zu früh.« Kleine Pause. »Es tut mir wirklich leid. Bitte sei nicht böse.« »Bin ich ja gar nicht.« »Ach komm, ich hörs doch an deiner Stimme!« »Was hörst du?« »Na, dass du traurig bist.« »Traurig ist was anderes als böse.« »Stimmt. Ich vermisse dich!« »Hm.« »Ach Mann, dann eben nicht!« Ich hängte ein. Einerseits konnte ich verstehen, dass sie gekränkt war, dieser vergessene Abschied war wahrlich kein gutes Omen für eine einjährige platonische Liebe. Andererseits spürte ich einen gewissen Widerwillen. Mir meine Abreise, meinen Aufbruch durch Kleinmut so zu vergällen. Ich wollte, dass sie es heiter verliebt großartig fand, dass ich mich aus dem Staub machte. Ich wollte Liebesschwüre und Gutereiseküsse und keine wehleidigen Einwortsätze.
    Ich rief meine Eltern an. Mein Vater hob ab. »Hallo, ich bins!« »Ah hallo, wo bist du?« »Schon am Flughafen.« »Was, jetzt schon? Da seid ihr aber gut durchgekommen!« »Ja, ging alles super!« »Mit dem Auto alles okay?« »Ja, alles gut.« »Ist dein Bruder vorsichtig gefahren?« »Total. Was macht Mama?« »Weiß nicht. Ist glaub ich mit dem Hund spazieren. Was machst du jetzt?« »Vielleicht mal was essen. Was machst du gerade?« »Was glaubst du?« »Lesen?« »Richtig! Ruf unbedingt später noch mal an, wenn deine Mutter wieder da ist, ja?« »Ja, mach ich.« »Ach, mein lieber Sohn sitzt in Frankfurt am Flughafen und fliegt gleich nach Amerika.« »Ja, so isses! Bis später Papa und futter nicht so viel!« Mein Vater tat so, als ob er den Mund voll hätte: »Ischweißnischwovonduredescht!« »Bis dann!« »Ja, bis dann.«
    In einer abseits gelegenen Ecke baute ich mir auf dem blanken Steinfußboden mit den Reisetaschen und der Sporttasche ein Lager, zog mir den Brustbeutel, mein Dollaramulett, über den Kopf und sah mir mein Ticket an. TWA : Trans World Airlines. Aus der Sporttasche nahm ich einen Ordner heraus. Da war alles drin, was mir die Organisation geschickt hatte, und noch etwas, das ich mir in den letzten Wochen täglich angesehen hatte: ein Foto meiner Gastfamilie. Ein paar Wochen nach der Zusage hatte in meinem Zimmer auf dem Schreibtisch ein dicker Briefumschlag gelegen. Ich hatte mich in meine Fensternische gesetzt und ihn vorsichtig geöffnet. Gleich auf der ersten Seite hatte nach dem ersten Absatz, den ich nur überflogen hatte, Folgendes gestanden: Wir freuen uns, dir mitteilen zu dürfen, dass wir eine Gastfamilie für dich gefunden haben. Hier deine neue Adresse: 2926 MOUNTAIN VIEW LANE , LARAMIE , WYOMING 82070. Fassungslos hatte ich auf diese Adresse gestarrt. Laramie? Wyoming? Hatte ich noch nie gehört. Unter der Adresse stand: »Deine Gasteltern

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