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Alle Toten fliegen hoch: Amerika

Alle Toten fliegen hoch: Amerika

Titel: Alle Toten fliegen hoch: Amerika Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joachim Meyerhoff
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versprochen! Kein Sterbenswörtchen.« Ging noch ein Stück und drehte sich wieder um: »Hoch und heilig!« Sie wandte sich endgültig ab und ging auf dem Bürgersteig davon. Ihr Hintern war vom Handtuch tatsächlich feucht geworden, ein dunkler Fleck im Jeansstoff. Ich sah auf die Uhr. Oh Gott, die Nichtschwimmer saßen schon auf dem Beckenrand und warteten auf mich.
    Noch gut eine Stunde hatte ich bis zu meinem Abflug nach New York. War ich eingeschlafen? Ich belud einen Gepäckwagen und machte mich auf den Weg zum Gate. Beim Eingang in den Abflugbereich sagte der Sicherheitsmann, zu Tode gelangweilt und gleichzeitig wütend: »He, mit dem Gepäckwagen darfst du da nicht durch. Zeig mir mal deine Bordkarte.« Ich holte sie aus meinem Brustbeutel. »Das ist keine Bordkarte. Das ist nur eine Flugbestätigung. Damit musst du zum Schalter.« »Wo muss ich denn da hin?« »Warte mal. Hier, hier stehts doch: TWA . Das ist ganz hinten im Terminal zwei.« »Ich glaub, ich bin etwas knapp dran. Bekomme ich das nicht vielleicht auch bei Ihnen?« »Die Bordkarte bei mir? So ein Quatsch! Außerdem darfst du mit dem ganzen Gepäck da doch nicht ins Flugzeug. Das sind mindestens fünfzig Kilo! Da musst du was nachzahlen und noch zum Sonderschalter. Übergewicht!!« »Glauben Sie denn, dass ich das alles noch schaffe?« »Lass mal sehen!« Er fand die Abflugzeit auf der Bestätigung. »Nee, ich glaub nicht.« Ich machte mich auf den Weg. Rannte. Schob den Wagen vor mir her wie einen Rammbock und fuhr Slalom. Als ich den Schalter fand, stand in Absperrbänder gepfercht eine Menschenmenge vor mir. Sich da anzustellen würde zu lange dauern. »Dürfte ich bitte vor? Ich hab es eilig!« »Flitzpiepe! Eilig hats hier jeder.« Ich reihte mich ein. Doch nach zehn Minuten war ich nicht weiter als eine Gepäckwagenlänge vorangekommen. Ich kämpfte mich aus der Schlange heraus und fuhr ratlos um den TWA -Schalter herum. Auf der anderen Seite stand kein Mensch. Ich fragte am Schalter, ob ich eine Bordkarte bekommen könne. »Where are you going?« »New York!« »Business Class?« »Yes, äh, no!« Sie nahm meinen Ausweis, sah auf die Flugbestätigung, flüchtig auf ihre Armbanduhr, musterte mich, zögerte, musterte mich abermals – und deutete auf das Gepäckband. Meine beiden großen Taschen fuhren davon. Die Grifflasche der vorderen verhakte sich schon in der ersten Abzweigung. Die Frau hinterm Schalter musste aufstehen und sie befreien. »You have too much weight!« Mir fiel nichts Besseres ein als »Sorry, I am late!« zu sagen, was klang, als hätte ich aus Zeitnot Wackersteine in meine Sporttaschen geworfen. Sie gab mir meine Bordkarte und sagte: »Hurry up!« Ich rannte los und es machte mir Spaß, tat mir so gut, zu laufen. Die Sporttasche schlug gegen meinen Rücken, und der Brustbeutel flog mir um den Hals. Durch einen abschüssigen Gangway-Schlauch konnte ich direkt in das Flugzeug hineinstürmen. Eine dunkelhäutige Stewardess reichte mir die New York Times und hieß mich willkommen: »Welcome on board, Sir!«
    Zwei Gänge, in der Mitte vier Plätze, links und rechts jeweils drei Sitze. Stickig war es hier drinnen. Viele Menschen. Ich lief durch den rechten Gang, hörte über Lautsprecher »Boarding completed!«. Ich musste ganz nach hinten bis zur vorletzten Reihe. Mehrere der Passagiere sahen mich genervt an. Zwei, drei schüttelten die Köpfe. Ich fand meinen Platz, rechte Reihe, in der Mitte. Im Gangplatz steckte ein ungewöhnlich dicker Mann in einem schwarzen Anzug, dessen Bauch über beide Armlehnen hing. Er war sichtlich enttäuscht, dass sein Sitznachbar so spät doch noch aufgetaucht war. Am Fenster, links von mir, saß ein kleiner Mann, der sich nervös die Hände rieb und abwechselnd zu mir und aus dem Fenster sah. Ich quetschte mich am Koloss vorbei und ließ mich in meinen Sitz fallen. So, dachte ich, jetzt gibt es endlich kein Zurück mehr.
    Während der nächsten fünf Stunden flogen wir in einen nicht enden wollenden rosafarbenen Sonnenuntergang hinein. Fünf Stunden lang wurde der Himmel nicht dunkler, sondern immer nur noch prächtiger. Doch dann wurden die Wolkenberge schlagartig schwarz und es war finster. Der Dicke neben mir bewegte seinen Kopf wie eine Eule, drehte ihn um hundertachtzig Grad. Nach links, um in die Wolken zu schauen, nach rechts, um zu fragen, wann das Essen endlich käme. Eine Stewardess brachte ihm eine Gurtverlängerung. Sein fettes Gesicht glänzte im Abendrot wie ein poliertes

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