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Alle Toten fliegen hoch: Amerika

Alle Toten fliegen hoch: Amerika

Titel: Alle Toten fliegen hoch: Amerika Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joachim Meyerhoff
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war ich dran. Drei Schritte schaffte ich Richtung Hecke, dann kotzte ich auf den Erste-Klasse-Rasen. Ich begriff überhaupt nicht, was los war. Was war das für ein Gestank? War das ein Angriff? Waren wir in Gefahr? Hazel schützte ihren Mund mit dem Zipfel ihrer Strickjacke, hielt sich mit der anderen Hand die Nase zu. Sie rannte los, quäkte nasal: »OH NO ! NO ! Serge! Stay out of the house!« In dem Loch unterm Haus schnaubte etwas, gab ein eigenartiges, heiseres Fauchen von sich. Hinter der Hausecke hörte ich Hazel würgen. Als Stan und ich um die Ecke kamen, sah ich gerade noch, wie sie sich in vollem Lauf, ohne ihr Tempo zu drosseln, auf die Einfahrt übergab und ins Haus verschwand. Stan sagte zu mir: »It’s a skunk. Jesus!«
    Wir folgten ihr. Mir war immer noch schlecht. Der penetrante Geruch war überall. Ein Geruch, den man gar nicht zu riechen, sondern ganz direkt im Magen zu spüren schien. Hazel hatte sich Küchenhandschuhe übergestülpt und jagte den Hund durchs Wohnzimmer. Noch nie hatte ich einen Hund gesehen, der sich so aufführte. Er sprang in die Luft und biss sich dabei selbst in den Rücken. Wälzte sich, scheuerte und schob seinen Kopf über den Teppichboden. Kämpfte wie von Sinnen mit einem unsichtbaren Gegner. Ich war in der Haustür stehen geblieben, um die kühle Laramier Gebirgsluft einzuatmen, als ich sah, wie sich der Pudel auf den Teppich übergab. Stan und Hazel schrien auf: »Don’t do that. Get out!« Der Hund schleckte seine eigene Kotze auf. Mir wurde wieder schlecht. Diesmal schaffte ich es bis zur Gartengrenze, bis zu den Bäumen. Am nächsten Morgen sollte sich allerdings zeigen, dass ich mich auf einen der Rasensprenger übergeben und die Düsen verstopft hatte. Mit einer Nadel durfte ich sie frei stochern. Obwohl mir immer noch übel war, es sich so anfühlte, als hätte mir jemand brutal in den Bauch geboxt, gefiel mir, was ich sah. Es war ein Spektakel. Jetzt setzte sich der Hund auf seinen Hintern und zog sich hockend nur mit den Vorderpfoten am Tisch vorbei. Es sah so aus, als würde ein sitzendes Stofftier von unsichtbarer Hand über den Teppich geschoben. Hazel rief: »You stinky bastard! Come here!« Der Hund bearbeitete seinen Kopf mit den Pfoten und schlug Purzelbäume: »You’re such an idiot. Stand still!« Nie hätte ich gedacht, dass sie so fluchen könnte. Stan und ich näherten uns Serge, trieben ihn in die Ecke, und schließlich erwischte ihn Hazel. Rannte mit dem stinkenden, zappelnden Viech Richtung Badezimmer. Doch die Tür war zu. Sie schwang ihren Fuß auf die Klinke und verschwand. Das war dann doch überraschend für mich, was in dieser so adretten, mit Bluse und Rock bekleideten – das umgehängte Kruzifix nicht zu vergessen –, gesitteten Frau für Möglichkeiten schlummerten.
    Stan öffnete gelassen Fenster für Fenster und zog an den Kettchen der Ventilatoren. Über die Hundekotze legte er angewidert seine Zeitung. Er zog seine erdigen Hausschuhe aus, feste Schuhe an, ging aus dem Haus in die Garage und kam mit einer alten Decke zurück. Aus der Speisekammer holte er zwei große Töpfe Margarine. Zu mir sagte er: »You better change your clothes!« Ich roch an meinem Ärmel. Obwohl ich den Hund nicht berührt hatte, nahm ich in meiner Kleidung den süßlichen Geruch war. Als ich mich umgezogen hatte und wieder ins Wohnzimmer kam, sah ich Stan und Hazel über den Hund gebeugt auf dem Boden knien. Im ersten Moment dachte ich, sie würden ihn kahl scheren. Einfach den Gestank wegrasieren. Aber da lag ich falsch. Der Hund wurde von oben bis unten dick mit Margarine eingeschmiert. Er hielt verängstigt still und leckte mit seiner hektischen Zunge Stans Finger ab. Was tun die da bloß? Wird er zur Strafe gebraten? Als die beiden Margarinetöpfe leer waren, stülpte Hazel eine Plastiktüte über ihn. Jetzt bringen sie ihn um, dachte ich, jetzt ersticken sie ihn mit der Plastiktüte! Was tun diese Menschen mit diesem armen Hund? Serge wehrte sich, knurrte. Hazel sagte zu ihm: »Stupid dog, you’ll never get it, will you?« Aber warum sich die Mühe machen, ihn vor dem Ersticken mit Margarine einzureiben? Wofür sollte das nur alles gut sein? Der Hund steckte in der Tüte. Nur sein Kopf guckte noch raus. Stan umwickelte den Plastikbeutel am Hals mehrmals mit Klebeband. Hazel sagte etwas zu mir, das ich nur teilweise verstand. Aber es reichte, um endlich zu begreifen. Immer wieder fiel das Wort »absorb!«. Dafür also war die Margarine! Sie sollte

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