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Alle Toten fliegen hoch: Amerika

Alle Toten fliegen hoch: Amerika

Titel: Alle Toten fliegen hoch: Amerika Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joachim Meyerhoff
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den unerträglichen Geruch absorbieren.
    Der Hund konnte nicht mehr richtig laufen. Rutschte in der Plastiktüte, in seinem luftdicht verpackten Gefängnis, auf der Margarine aus. Versuchte es aber trotzdem und raschelte stolpernd durchs Haus. Stan ging hinaus. Ich hörte, wie er den Wasserschlauch aufdrehte, die Einfahrt und die Außenwand abspritzte. Über eine halbe Stunde machte er sich polternd unterm Haus zu schaffen. Unter den Bodenbrettern schlug und hämmerte etwas gegen das Holz. Als er wieder hineinkam, war er verschwitzt, und seine stets akkuraten Haare waren zerzaust. Hazel fragte: »Did you get it?« »No. I have to smoke it out.« Er trank einen Schluck, schloss alle Fenster und ging wieder hinaus. Ich folgte ihm. Stan kam mit einer Schachtel aus der Garage. Er kniete sich vor den Eingang des Tunnels und holte eine bräunliche, ungefähr fünf Zentimeter große Tablette aus dem Karton. Er legte das Ding vor das Loch und zündete es mit einem Feuerzeug am Rand an. Gelber Qualm stieg auf. Mit einem Stock schob er die rauchende Tablette in den Gang hinein, so tief es ging. »Hope the house won’t burn down! Stay away from it!« Wir entfernten uns. Gingen weit in den Garten hinein. So weit, dass ich es etwas übertrieben fand. Stan und ich standen in der Wiese und starrten auf den Höhleneingang. Nichts passierte. »Maybe it’s already gone!« Lange standen wir so da und warteten. Sahen auf das Haus wie auf eine Dynamitstange, deren Lunte abgebrannt war, ohne dass es zur Explosion gekommen war. Nichts. Nach diesem Vorfall verbannte ich den Pudel aus meinem Zimmer. Der Stinktiergeruch, dieser sich in jede Faser hineinfressende Gestank, verfolgte mich. Plötzlich war er da und mir wurde flau im Magen.
    Nach zwei Wochen kamen die Söhne von ihren verschiedenen Reisen nach Hause. Als Erstes kam Brian. Der Sohn, in dessen Zimmer ich wohnte. Ich arbeitete mit Stan im Garten. Hoch in den Birken wucherten mistelartige Schmarotzer. Von unten sahen sie aus wie Nester. Mit einer Teleskopsäge schnitt ich sie aus den Wipfeln. In einem verdreckten Jeep, die Scheinwerfer waren lehmverkrustet, fuhr Brian auf den Driveway. Er stieg aus, knallte die Jeeptür zu, strahlte und trabte zu seinem Vater. Er gab ihm zur Begrüßung die Hand und Stan legte ihm den anderen Arm um die Schulter: »Good to have you here!« Hazel kam aus dem Haus und fiel ihm um den Hals. Auch mir gab er die Hand: »Nice to meet you! So how do you like my room?« Er war freundlich, bemühte sich deutlich zu sprechen, als er merkte, dass mein Englisch nicht gut war, und erkundigte sich nach meiner Anreise und der ersten Zeit in Laramie. Er sah sehr gut aus. Hellblonde, von der Sonne gebleichte Haare. Brians Gesicht war klar und offen. Man sah ihm an, dass er viel an der frischen Luft gewesen war. Anscheinend hatte er abenteuerliche Wochen in der Wildnis hinter sich. Mehrmals wurde der Name eines Nationalparks genannt: Grand Teton. Stan fragte: »Did you catch some salmon?« Brian hatte Shorts an. Auf seinen braun gebrannten Beinen waren vereinzelt getrocknete Schlammspritzer in derselben Farbe wie auf dem Auto. »Take a shower!«, sagte Hazel. Brian fragte mich: »Is it okay for you if I use your bathroom?« Ich nickte.
    Eine Stunde später kam der älteste Sohn: Bill. Sein Auto war eine heruntergekommene Karre voller Rost und Beulen. Das Seitenfenster auf der Beifahrerseite war mit Folie abgeklebt. Bill war ein wenig dicklich. Sein Bauch wölbte sich unterm T-Shirt, das er über der Jeans trug. Seinem Vater trat er, wie es mir vorkam, reserviert gegenüber. Gab ihm nur flüchtig die Hand und machte einen leicht angedeuteten zackigen Diener. Stan strahlte plötzlich genau jene republikanisch-biedere Härte aus, die ich auf dem Foto gesehen und vor der ich mich gefürchtet hatte. Umso herzlicher begrüßte Bill seine Mutter. Hob sie bei der Umarmung kurz vom Boden hoch. Hazel lachte, boxte ihm liebevoll auf die Brust und zog sich den Rock zurecht. Er redete viel und schnell. Ich verstand fast nichts. Er hatte einen Karton Doughnuts mitgebracht. Zwanzig Stück, »The big box!«. Alle unterschiedlich: dunkle Schokoladenglasur, pinkfarbene Streusel oder gefüllt mit Caramel Creme oder Cranberry Jam. Sie schmeckten mir ausgezeichnet und während Brian und Bill, der in Chicago gewesen war, von ihren Reisen erzählten, versuchte ich unauffällig, so viele Doughnuts in mich reinzustopfen wie möglich. Immer wenn gelacht wurde, griff ich zu. Beide Brüder

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