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Alle Toten fliegen hoch: Amerika

Alle Toten fliegen hoch: Amerika

Titel: Alle Toten fliegen hoch: Amerika Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joachim Meyerhoff
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Sätze zu sagen, kam mir immer vor wie ein Kartenspiel. Langes nachdenkliches Beobachten meines Blattes, dann die Entscheidung und das rasche Ausspielen der Karte. Genauso fielen meine Minisätze vor mir auf den Tisch: »The eggs are good«, »Thank you for your help«. Oder, schon etwas mehr riskierend, fast schon ein Ass: »I am so hungry because at home they eat now.« Hazel beruhigte mich, ich solle mir wegen des Nasenblutens keine Gedanken mehr machen. Ich wäre nicht der erste Besuch, dem das widerfahren wäre. Man müsse sich erst an die Höhe gewöhnen. Gut, dass ich sie geweckt hatte. Es war schön, mit ihnen in der Küche zu sitzen. Ich hatte doch schon oft Eier mit Speck gegessen, aber noch nie hatten sie mir so gut geschmeckt. Als ich wieder in meinem Wasserbett lag, war ich todmüde. Hazel hatte die Bettdecke rundherum unter die Matratze geschlagen. Also gut! Dann eben auf dem Rücken! Auf dem Rücken, starr wie ein Zinnsoldat! Ich hörte meine Gasteltern in der Küche reden und auch lachen. Worüber lachen die, dachte ich mit schon geschlossenen Lidern, lachen die über mich? Kurzes Wegdämmern. Morgen werde ich zu den Pferden runtergehen. Ach ja, und Briefmarken besorgen. Längeres Wegdämmern, kurzes Zurückdämmern: Ich muss unbedingt gleich morgen Briefe schreiben. An meine Großeltern, meine Eltern, meine Freundin … Wie konnte ich nur vergessen, mich nicht von ihr … Ich gähnte. Dieses Zimmer da nebenan. Was das wohl für einer ist? Die Frau auf dem Motorrad … diese Vögel an den Wänden – was waren das für welche? Das waren doch keine Fasane … wie heißen die noch mal … Auerhähne? … Sind die so groß? … Gibt es die hier denn … Ich schlief ein.
    Erst Monate später, als mein Englisch sogar schon in meine Träume gekrochen war und ich am Telefon angeberische Wortfindungsschwierigkeiten hatte – »Ja, ich war not there. Wir waren on vacation. Ähh, wie sagt man noch? Ahh warte, sorry, ich war on vacation – äh on Urlaub, auf Urlaub. Sorry!« –, fragte ich meine Gasteltern, worüber sie damals in der Küche gelacht hatten. Natürlich ging es um den Satz. Wie ich blutüberströmt in der Tür ihres Schlafzimmers gestanden und gesagt hatte: »I have a problem called blood!«

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    3. Kapitel
    Die ersten zwei Wochen in Laramie verbrachte ich damit, meine Müdigkeit am Tag und meine Hungerattacken in der Nacht zu bekämpfen. Meine innere Uhr schlug hartnäckiger im heimatlichen Takt, als ich es für möglich gehalten hatte. Nachts lag ich wach, kam mir vor wie ein zur Strafe am Nachmittag ins Bett geschicktes Kind, und am Tag überwältigte mich eine alle Helligkeit ignorierende Müdigkeit. Stan und Hazel gingen morgens sehr früh aus dem Haus und kamen erst am Abend von der Arbeit zurück. Ich war viel allein. Lag zusammen mit dem grauen Pudel auf dem Wasserbett oder ging hinunter zum Pferdegatter. Mit so wenig Begleitung, ja, Betreuung hatte ich nicht gerechnet. Meine Reise um die halbe Welt, mein »Alles-hinter-mir-Lassen« endete in diesen ersten vierzehn Tagen allmorgendlich kurz nach dem Frühstück in einem Fernsehsessel mit automatisch nach hinten kippender Rückenlehne und herausfahrender Fußstütze. Zum Frühstück aß ich etwas, das ich nicht kannte. Tiefgefrorene weißliche Platten. Ich drückte sie im Toaster hinunter und sie verwandelten sich innerhalb von nur zwei Minuten in knusprige, mit Kirsch- oder Apfelkompott gefüllte Waffeln. Dazu fruchtigen Orangensaft. Das Fernsehprogramm faszinierte mich. Die Anzahl der Programme, die Lockerheit der Moderatoren und Nachrichtensprecher. Serien, die ich als Kind gesehen hatte, natürlich synchronisiert, hörte ich nun im Original auf Englisch. Dadurch änderte sich nicht nur die Sprache. Nein, die Schauspieler kamen mir wie völlig andere Menschen vor. Noch nie hatte ich auch nur einen Gedanken daran verschwendet, dass man ihnen in Deutschland ihre Stimme geklaut hatte. Erst hier in Laramie konnte ich sie jetzt richtig kennenlernen. Es wurde viel weicher gesprochen, mundfauler. Die einzelnen Stimmen, Stimmlagen, standen sich nicht so scharfkantig gegenüber, flossen eher ineinander, und die einfachen Wahrheiten klangen bedeutender. »This is our land and always will be.« Die Wyominger Fernsehkanäle spielten am liebsten Western. Egal zu welcher Uhrzeit ich den Fernseher anschaltete, jemand ritt durch die Prärie, trank und prügelte sich in einem Saloon oder wurde von einem Schuss oder Pfeil getroffen. Letzte Worte:

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