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Alle Toten fliegen hoch: Amerika

Alle Toten fliegen hoch: Amerika

Titel: Alle Toten fliegen hoch: Amerika Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joachim Meyerhoff
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Großtoilette, aber an dem Tag musste ich zu dringend, um es noch bis nach Hause zu schaffen. Ich saß auf dem Klo, als einer von ihnen hereinkam und sich direkt neben mich setzte. Er sah mich an. Atmete in meine Richtung. Ich wusste nicht, was schlimmer wäre: hinsehen und »Hallo« sagen oder weiter vor mich hin starren. Ich wandte mich ihm zu. »Hi!« Er spuckte mir einen großen Klumpen speichelnassen, stinkenden Kautabak ins Gesicht und ging. Einfach so. Ich hatte so eine Angst, dass ich tat, als wäre gar nichts passiert. Ich nickte, wandte mich wieder ab und blieb noch ein bisschen auf dem Klo sitzen. Dann zog ich mir die Hose hoch, wusch mir die Hände und ging langsam hinaus.
    Einige dieser Ringer – wie viele es genau waren, konnte ich im Wasserdampf nicht erkennen – warfen immer mehr Holz auf das Feuer. Sprangen zwischendurch wieder in die Becken, um sich aufzuwärmen. Ich sah die vernarbten, wulstigen Wundränder der Brandzeichen auf ihren muskulösen Ärschen. Es waren zwei Buchstaben: »D« und »R«. Ich weiß bis heute nicht, wofür sie standen. Einer von ihnen holte aus seinem Wagen eine Eisenstange, an deren Ende eben diese beiden Buchstaben waren, zerstocherte damit das Feuer und legte die Buchstaben in die Glut. Ein anderer kletterte betrunken auf das Dach seines Trucks und rief: »Peter, do you really wanna be one of us?« Irgendwo brüllte jemand: »Yes!« Nackt bis auf den Cowboyhut trat Peter aus dem Dampf. Das Feuer beschien seinen bulligen Körper. Ich konnte von meinem Whirlpoolplatz aus alles, was jetzt geschah, bestens sehen. Es war grauenhaft. Peter nahm einen großen Schluck aus seiner Schnapsflasche, stopfte sich selbst einen Lappen in den Mund und kniete sich in den Schnee. Der oben auf dem Auto gab das Kommando: »Hold him!« Zwei weitere Cowboys packten ihn an den Armen und drückten ihn hinunter. Der eine rammte ihm sein Knie in den Nacken. Der Anführer kam vom Autodach geklettert, zog sich einen Handschuh an und griff sich das Brandeisen. Es leuchtete rot, so glühend rot. Es war nur noch das Blubbern der Whirlpools, der Jacuzzis, zu hören. Er stellte sich hinter Peter, dessen weißer Hintern im Scheinwerferlicht aussah wie ein großes gefrorenes Stück Fleisch. Er drückte ihm das rot glühende Brandeisen auf die rechte Pobacke. Es zischte und rauchte. Roch sogar leicht nach Gebratenem. Peter schrie. Lang gezogen, lappengedämpft. Warf sich mit aller Gewalt nach vorn, riss sich los. Stürzte. Zappelte unkontrolliert im Pulverschnee hin und her, stand kurz kerzengerade da, sackte zusammen, zuckte und blieb leblos liegen. Die Augen weit offen, verdreht. Die Cowboys umringten ihn. Zwei lachten noch. Dann wurden sie panisch. Rissen ihn hoch. Zogen ihm den Lappen aus dem Mund. Das »D« und das »R« rauchten leicht. Sie hoben ihn auf ihre Schultern, eine mondbeschienene Ringerprozession. Da sah ich – und ein erregtes Grausen durchströmte meinen Körper –, dass er eine Erektion hatte. Während sie ihn rüber zum Pick-up-Truck trugen, ragte sein großer Schwanz in die sternklare Nacht, zeigte hoch ins Universum, auf die mir noch nie in dieser Deutlichkeit erschienene Milchstraße. Sie legten ihn auf die Ladefläche und deckten ihn zu. Saßen nackt und ratlos, die Kälte ignorierend, um ihn herum. Rieben ihn mit Schnee ab und riefen immer wieder laut seinen Namen. Keiner traute sich in ihre Nähe. Das Mädchen in meinem Arm war weich. Und trotz ihrer Weichheit feingliedrig. Ihre Knochen schienen sehr dünn zu sein, tiefer zu liegen als gewöhnlich. Die Wassertropfen perlten von ihren Armen. Ich fragte sie nach ihrem Namen. Sie öffnete den Mund, mit süßlichem Erdbeerschnapsatem sagte sie: »Maureen!« Die beiden E’s blieben müde auf ihrer schweren Zunge liegen. Ihre Stimme war angenehm tief. Wieder küssten wir uns. Sie konnte etwas mit der Zunge, das ich aus Deutschland nicht kannte. Da wurde gejohlt. Peter war wieder zu sich gekommen. Er konnte nicht stehen, war benommen. Beugte sich über die Ladefläche und kotzte in den Schnee. Sie halfen ihm, legten ihn neben das Feuer und desinfizierten das frische Brandzeichen mit Erdbeerschnaps. Blass nahm er die Glückwünsche, meist angedeutete Kinnhaken oder Kopfstöße, entgegen.
    Maureen und ich zogen uns an. Ich den Pullover meines Bruders. Maureen sah mich verwundert an und strich über die braunen Wollwülste. »Wow, never seen such a sweater before.« Ich antwortete: »It’s Italian.« »Looks good on you.« Sie setzte

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