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Alle Toten fliegen hoch: Amerika

Alle Toten fliegen hoch: Amerika

Titel: Alle Toten fliegen hoch: Amerika Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joachim Meyerhoff
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wenn Du sie die letzten Monate wachsen lässt.
    Bei mir ist alles so weit unverändert. Ich war bei der Berufseignungsuntersuchung. Harald hat mich gefahren. Der Arzt musste auch meine Maße nehmen (wozu weiß ich auch nicht). Auf jeden Fall waren oben 94. Ich bin fast aus den Latschen gekippt. Es ist wohl besser, wenn ich ein bisschen Platz frei lasse auf der Karte, bevor ich weiterhin so ’n Müll schreib.
    Deine einsame Traummaus
    Ich freu mich schon aufs Telenieren!
    Unter die Karte hatte sie einen Pfeil gemalt, der auf die Vorderseite mit den sich küssenden Schnecken zeigte. Unter dem Pfeil stand winzig mit Bleistift: Guck mal da knutschen zwei? Wer sind denn die?
    Ich war mir nicht ganz sicher, ob mir ihre Art zu schreiben gefiel. Ich mochte es nicht, dass sie alles verniedlichte, auch sich selbst, und doch bekam ich Sehnsucht nach ihr. Was wusste ich schon? Vielleicht musste das genau so klingen. Ich bekam plötzlich so ein Verlangen nach ihr, dass ich mich, obwohl Stan direkt vor meinem gekippten Fenster den Schnee von den Birken klopfte, nackt auszog und meine Begierde auf der heißen Wassermatratze wegschwappte.
    Meine Antwort auf diese Karte bestand aus nur einem Satz: Wer ist Harald?
    In diesen Tagen, kurz vor Weihnachten fiel ein halber Meter Neuschnee, begann nun endlich das, worauf ich so lange gewartet hatte, das, was der eigentliche Anlass meines Amerikaaufenthaltes gewesen war: die Ausscheidungswettkämpfe für das Basketballteam. Der Trainer, Coach Carter, war ein zwei Meter acht großer ehemaliger Profibasketballer und Vietnamveteran. Alle Schüler, die in das Schulteam wollten, trafen sich an einem Nachmittag in der großen Sporthalle. Diese Sporthalle hatte eine Tribüne, auf der mehrere Hundert Zuschauer Platz fanden. Das Basketballteam der Laramie Highschool hieß »The Plainsmen«. Es versammelten sich um die fünfzig Schüler in der Halle. Nur fünfzehn würden es ins Team schaffen. An diesem ersten und auch an den nächsten beiden Nachmittagen geschah nichts weiter, als dass Coach Carter die Mannschaften einteilte. Seltsamerweise kannte er die Vornamen aller fünfzig Schüler auswendig. Auch meinen. Er saß am Rand, beobachtete mit ausdruckslosem Gesicht das Spiel und machte sich Notizen. Vor den großen Fenstern der Turnhalle schneite es und auf dem Hallenboden quietschten die Turnschuhe. Auch wenn ich mich an die Höhe in Laramie gewöhnt zu haben glaubte, nach nur einer Viertelstunde war ich vollkommen fertig. In Deutschland wurde Basketball als körperloses Spiel bezeichnet. Handball und Fußball waren Sportarten, wo es um Körpereinsatz ging, um Tritte und Rempler. Basketball war, so dachte ich, etwas für schnelle und wendige Sportler, die Körperkontakt scheuen, aber dank ihrer Größe für diesen Sport prädestiniert sind. Unter den fünfzig Teamanwärtern zählte ich mit meinen ein Meter neunzig eher zu den kleineren. Und das mit dem körperlosen Spiel stellte sich schon nach zehn Sekunden als grober Irrtum heraus. Ständig wurde ich geschoben und geschubst. Sobald ich den Ball hatte, fuchtelte mir jemand mit seinen Armen wie ein Propeller vor der Nase herum und schlug ihn mir aus der Hand. Hatte ich, um zu verteidigen, den eigenen Korb erreicht, rannten schon wieder alle beim Tempogegenstoß zum anderen Korb. Die Spieler riefen sich Spielzüge zu, die ich nicht kannte, und wiesen mir Positionen zu, von denen ich noch nie gehört hatte. Genauso wenig wie ich im Angriff zustande brachte, trug ich zur Verteidigung bei. Ich beobachtete meine Gegner ganz genau. Mit einer winzigen Körperdrehung tricksten sie mich aus. Ich verlagerte mein Gewicht auf den falschen Fuß und sie zogen an mir vorbei zum Korb. Das Spiel war viel schneller, hektischer und kraftvoller, ja, brutaler, als ich es je für möglich gehalten hätte. Immer und immer wieder stand an diesen drei Nachmittagen jemand mit dem Basketball vor mir und ich wusste, gleich würde er etwas tun und ich wäre unfähig, es zu verhindern. Rechts an mir vorbei, links an mir vorbei. Elegante Drehung, Ball durch meine Beine gespielt, und wieder weg. Wenn ich dribbelte, musste ich dabei auf den Ball sehen. Meinen Mit- und Gegenspielern schien der Ball wie ein dressierter Flummi in die Hand zu springen. Mit keinem Blick kontrollierten sie ihre Dribblings, sahen immer nur den Gegner oder den Korb an. Wenn ich dribbelte, wusste ich nicht, wo ich hinrannte. Ich patschte den Ball unbeholfen auf den Boden und irrte übers Feld. Mehrmals

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