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Alle Toten fliegen hoch: Amerika

Alle Toten fliegen hoch: Amerika

Titel: Alle Toten fliegen hoch: Amerika Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joachim Meyerhoff
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dribbelte ich den Ball einfach am Korb vorbei ins Aus. Ich sah auf und wollte werfen, stand aber längst hinterm Korb, und meine Mitspieler sahen mich verständnislos an.
    Coach Carter hatte mich an diesem Nachmittag allen vorgestellt und gesagt: »Look at this man. He comes from Germany! GERMANY ! It’s an honor to have you here!« Ich verstand nicht ganz, was das sollte, war aber froh, so freundlich begrüßt zu werden. In einer kurzen Spielunterbrechung kam er zu mir und sagte auf Deutsch: »Ik liebe Deutschland. Deutschland hat große Geschikte! Ik habe deutsche Hunde!« Ich rannte zurück aufs Spielfeld. Nie war ich mir so plump, ungeschickt und lahm vorgekommen wie an diesen drei Nachmittagen, an denen uns Coach Carter Stunde für Stunde neu einteilte und, ohne je auch nur den geringsten Kommentar abzugeben, aufeinander losließ. Wer die Besten waren, stellte sich schnell heraus. Alle überragte Benny Wiseman. Er war nicht viel größer als ich. Ein sehniger Junge. Unermüdlich. Er traf von allen Positionen aus. War genauso gut aus der Distanz wie unter dem Korb. Er war so schnell, dass er nicht nur mich ausspielte. Benny lachte beim Spielen, war von gut gelaunter Aggressivität und konnte mit wenigen Bewegungen die gesamte Abwehr aushebeln. Sein kleiner Bruder Blake war viel unscheinbarer. Doch wenn am Ende eines Spiels davon gesprochen wurde, wer die meisten Körbe erzielt hatte, hatte Blake oft genauso viele Punkte gemacht wie sein nur ein Jahr älterer Bruder. Bennys Punkte waren immer spektakulär, Blake dagegen agierte eher unauffällig, aber immens effektiv. Oder Jason Powell, ein grandioser Distanzschütze. Noch bevor man überhaupt verteidigen konnte, warf er vor der Drei-Punkte-Linie und traf. Nach dieser ersten Runde wurden zwanzig Spieler aussortiert. Coach Carter stellte sich auf die unterste Sitzreihe der Zuschauertribüne und verlas die Namen derer, die es in die zweite Runde geschafft hatten. Zu meiner großen Überraschung war ich dabei. Warum auch immer. Ein Schüler, der mir durch seinen verbissenen Ehrgeiz aufgefallen war und nicht aufgerufen wurde, schleuderte mit großer Wucht einen Basketball gegen die Holzverkleidung der Hallenwand und fluchte: »What the fuck!« Coach Carter ging auf ihn zu, stellte sich vor ihn, war einen halben Meter größer und schrie ihn an: »What did you say?« Der Schüler hatte die Fäuste geballt. Coach Carter brüllte: »Leave! Leave this gym. I never want to see you here again!« Der Junge rannte davon.
    Aus den übrig gebliebenen dreißig Spielern würde nach einer weiteren Woche noch einmal die Hälfte aussortiert werden. Nur fünfzehn würden es in die sogenannte »Varsity« schaffen: die erste Mannschaft der Laramie Plainsmen. Dass ich nicht unter diesen ersten fünfzehn sein würde, war mir vollkommen klar. Ich beschloss, die kommende Woche zu genießen, und so viel wie möglich zu lernen. Diese zweite Woche hatte mit der ersten, in der uns Coach Carter nur beobachtet hatte, nichts gemein. Nun wurde trainiert. Nach einem minutiös ausgetüftelten Trainingsplan. Zehn Minuten nach Schulschluss mussten wir umgezogen auf der untersten Bank sitzen. Das Training ging von vier Uhr nachmittags bis um acht Uhr abends. Bei den Trainingseinheiten, die mit dem Ball zu tun hatten, versagte ich kläglich. Doch bei allen Einheiten, wo es um Schnelligkeit und Ausdauer ging, war ich einer von den Besseren. Von zehn Freiwürfen traf ich zwei. Aber von allen dreißig Spielern war ich Vierter oder Fünfter beim Linienlaufen. Dabei musste man von der Hallenwand starten, bis zur ersten den Raum durchlaufenden Linie spurten, sie kurz mit den Fingern antippen und zurück zur Wand rennen. Dann zur zweiten Linie, zur dritten, zur vierten und so weiter. Benny Wiseman gewann mit Vorsprung, aber ich war nicht weit hinter ihm. Nach dem Linienlauf lagen alle auf dem Boden und atmeten schwer. Coach Carter stolzierte wie ein Feldherr in kurzen Hosen, auf seinen langen Beinen zwischen den hingestreckten, keuchenden Schülern herum und nickte zufrieden.
    Als ich am Morgen nach dieser ersten echten Trainingseinheit erwachte, konnte ich mich nicht mehr bewegen. Noch nie in meinem Leben hatte ich einen solchen Muskelkater gehabt. Gelähmt lag ich auf dem Wasserbett und versuchte, mich aufzusetzen. Es gelang mir nicht einmal, den Arm zu heben oder den Kopf. Hatte ich mir einen Wirbel eingeklemmt? Oder war es eine rätselhafte Krankheit, die mich über Nacht in einen bettlägerigen

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