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Alle Toten fliegen hoch: Amerika

Alle Toten fliegen hoch: Amerika

Titel: Alle Toten fliegen hoch: Amerika Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joachim Meyerhoff
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Vorbeigehen die Hand, »Nice to meet you«, und verschwand wieder. Maureen: »That was my dad!« Einer der Brüder pupste und bekam einen Lachkrampf. Jemand rief aus dem oberen Stock: »Sorry! Sorry! Can’t come right now. Hiii! I’m Maureens Mom. You are from Germany, right?« Ich rief die Treppe hoch: »Right!« »Huhhh, what a sexy voice!« Maureen rief: »Mom, PLEASE !« Wieder die Stimme von oben: »Make yourself comfortable. Do you wanna eat with us?« »Mom, we’re going out for dinner. He is my date.« Die Brüder rutschten freihändig das lange Marmorgeländer hinunter und wälzten sich in den Schuhen. »Oh, I see. Have fun. Bye!« Die Schwester sagte: »She told me you won’t pay for her. Is that true?« Maureen fuhr sie an: »Would you please shut up!« Einer der Brüder hatte einen Basketball geholt und warf ihn mir durch den Flur zu. »Hey, let’s play Plainsmen!« Maureen nahm meine Hand. »Let’s go!« Der Vater kam zurück mit Akten unter dem Arm. »Did somebody see my glasses?« Maureen sagte: »Dad, I’m leaving!« »Where did I put my glasses?« Maureen schüttelte den Kopf und wir gingen.
    Als wir im Auto saßen, hörte ich wieder das winzige Tier mit den messerscharfen Krallen übers Glas kratzen. Wir hielten vor einem mexikanischen Restaurant, dessen Dach ein riesiger beleuchteter Sombrero war. Bevor wir ausstiegen, klappte Maureen ihre Sonnenblende hinunter, die matt beleuchtet war, und begann sich zu schminken. Tupfte und malte, zupfte und puderte gut eine Viertelstunde lang. Wir gingen hinein, mussten kurz an einer Kakteenrezeption warten, und wurden von einem Kellner zum Tisch geführt. Der Kellner hatte den gleichen Hut auf wie das Restaurant. Seine über der Brust gekreuzten Patronengurte waren mit kleinen Tequilafläschchen bestückt. Maureen zog die Lederjacke aus. Sie trug ein rot-weiß kariertes Hemd, das über der Jeans zusammengeknotet war. Vom Knoten standen wie zwei Ohren die Hemdzipfel ab. Unter meiner Speisekarte hindurch sah ich ihren Bauch, der sich leicht über die schwere Gürtelschnalle wölbte, von der mich ein Adlerkopf mit spitzem Schnabel warnend anstierte. Dass wir vor nur zwei Wochen in einem Whirlpool miteinander geschlafen hatten, dass sie auf meinem Schoß gesessen und im blubbernden Wasser ihre Hüften hatte kreisen lassen, kam mir in diesem Moment wie eine Wunsch-, ja Wahnvorstellung vor. Mehrmals hatte sie, sobald ich versuchte, ihr Hüftkreisen durch Auf- und Abwärtsbewegungen zu erwidern, in mein nasses Ohr »Don’t move!« geflüstert. Ich hatte still gesessen. Nur sie bewegte sich. Dann wieder »Move!«. Vorsichtig machte ich mit. »Yes, move!« Ich bewegte mich stärker. »Don’t move!« Nichts war von diesem Ereignis, von diesem für mich bahnbrechenden Erlebnis mehr übrig. Ich hatte gehofft, dass wir uns im Auto küssen würden, sie sich in einer abgelegenen Sackgasse bei laufendem Motor wieder auf mich setzen würde. Oder dass sie mich an einen von ihr erwählten geheimen Ort chauffieren würde, vielleicht die leer stehende Wohnung einer Freundin, und wir uns ausziehen und miteinander schlafen würden. Doch jetzt saßen wir abseits in einer Nische, aus den Lautsprechern triefte mexikanische Gitarrenmusik, und bestellten Tortillas und Enchiladas, redeten über das Wetter und hätten auch beide achtzig sein können. Beim Essen purzelte mir der Mais aus meinem gerollten Weizenfladen. Die Körner lagen überall auf dem Tischtuch herum und ich piekste sie einzeln mit der Gabel auf. Maureen lächelte gequält. Unmittelbar nachdem wir aufgegessen hatten, rief sie den Kellner und bat um die Rechnung. Wie verabredet bezahlte jeder die Hälfte und wir verließen das Restaurant. Sobald wir im Auto saßen, klappte sie wieder den Spiegel herunter und begann, sich ausgiebig nachzuschminken. Auf der Rückfahrt begriff ich plötzlich, woher das kratzende Geräusch kam. Maureens Haarspitzen schabten am Autohimmel.
    Nach nur neunzig Minuten war ich wieder zu Hause. Beim Abschied hatte Maureen weder zu mir herübergesehen noch die Hände vom Lenkrad genommen. »See you.« »Yes, bye.« Stan, der in einem blauen Trainingsanzug vor dem Fernseher mit einem Expander trainierte, fragte mich: »Anything forgotten?« Don lag auf dem Boden. Er hatte eine bestimmte Art, die Beine übereinanderzuschlagen, die mich wahnsinnig machte, weil es so angeberisch gelenkig aussah. Er sah mich an und grinste: »Oh boy. Looks like a real successful evening!« Ich ging in mein Zimmer,

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