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Alle Toten fliegen hoch: Amerika

Alle Toten fliegen hoch: Amerika

Titel: Alle Toten fliegen hoch: Amerika Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joachim Meyerhoff
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setzte mich an den Schreibtisch und schrieb einen langen, sehnsuchtsvollen Brief an meine Freundin. Ich lästerte über die amerikanischen Mädchen, flehte sie an, auf mich zu warten, und gelobte ewige Treue. Nie, nie wieder, schwor ich mir, gehe ich hier mit einem Mädchen aus.
    Aber als ich am nächsten Morgen meinen Spind öffnete, lag ein gefaltetes Zettelchen im oberen Fach. Es war von Maureen. Sie bedankte sich für den wundervollen Abend:
    »Hey German, thank you so much for the wonderful evening. I really appreciate your company. Do you remember when the corn dropped out of your Tortilla? That was so funny! I have strong feelings for you. My Goodness! It was so romantic! I enjoyed every single moment. For ever yours. Maureen! P.S.: And it made me so proud that I got to pick you up and paid half the cheque.«
    Konnte das sein? War der Brief von ihr? Vielleicht, dachte ich, steckt jemand von denen, die es nicht ins Team geschafft haben, dahinter, oder sogar Don.
    Von dem Moment an, als das Basketballtraining begann, hatte ich für fast nichts anderes mehr Zeit. Kaum ein Tag, an dem ich mit Stan noch in die Kirche musste. Die erste Trainingseinheit begann bereits morgens um sechs Uhr. Jerry Sanderson holte mich jeden Morgen ab. Er wohnte am anderen Ende der Siedlung und war mit 5 feet 9 der kleinste Spieler im Team. 6 feet 3 war meine amerikanische Größe. Wie froh war ich über diese neue Maßeinheit. Meine deutschen ein Meter neunzig waren mir immer wie eine Behinderung vorgekommen. Ein Meter neunzig, mit Locken zwei Meter, und Schuhgröße sechsundvierzig. Das war nicht lustig. Hier war ich mit six feet three und shoesize 11 zwar um einiges größer als Jerry, aber bei Weitem nicht der Größte. Tim Hogan maß six feet four und unsere Center Mike Hastings stolze six feet five. Jerry hatte Probleme mit seinem Gewicht. Er war alles andere als dick, aber Coach Carter hatte ihm gesagt, er müsse bis zum ersten Spiel abnehmen. Wenn Jerry mich morgens abholte, hatte er zwischen seinen Beinen auf dem Fahrersitz eine große Schüssel eingeklemmt. In der Schüssel war ein Berg von geschnittenem Obst, Cornflakes und Milch. Er fuhr mit einer Hand und schaufelte sich sein Gesundheitsfrühstück rein. Ich saß neben ihm und musste schalten. In den Kurven blickte er zwischen Straße und Milchpegel hin und her und rief »Change the gear!« Mit Jerry verstand ich mich gut. Ich nahm meine deutschen Kassetten mit in sein Auto und musste sehr lachen, wenn er ohne ein Wort zu verstehen mitsang. Jeder Spieler hatte zu Beginn der Saison seine Ausrüstung bekommen. Zwei Sporthosen, zwei Trikots, ich hatte die Nummer zwölf, und einen Trainingsanzug, in dem ich aussah wie ein Schiffssteward. Diese Anzüge waren zu jeweils fünfzig Prozent aus Acryl und Polyester, und wenn wir sie nach dem Aufwärmtraining auszogen, war es ein beliebtes Ritual, das Licht in der Kabine zu löschen. Tausende elektrische Funken knisterten um uns herum.
    Wenn Jerry und ich die Turnhalle betraten, waren Benny und sein Bruder Blake immer schon da. Hellwach und durchgeschwitzt. Um Punkt sechs begann das Training. Coach Carters Büro hatte einen direkten Zugang zur Halle. Wenn der Sekundenzeiger der Uhr, die groß wie eine Bahnhofsuhr über der Tribüne prangte, auf zwölf sprang, öffnete sich die Bürotür und Carter betrat die Halle. Wer auch nur eine Sekunde zu spät kam, durfte nicht mehr am Training teilnehmen. Der Morgen begann mit Würfen aus dem Feld und lockeren Passübungen. Dann folgten Übungen, die zum Beispiel »Daily dozen«, »44 Rotation«, »Slash to split« oder »4 Men Shell« hießen. Immer wenn ich zu Coach Carter sah, traf mich sein Blick. Er schien uns alle in jedem Moment zu beobachten. Nichts, aber auch gar nichts entging ihm. Obwohl ich mit dem Rücken zu ihm stand, als ich auf den Korb geworfen hatte, ermahnte er mich, endlich damit aufzuhören, dem Ball hinterherzusehen. Wir Spieler durften keine Privatgespräche führen. Während der Übungen hörte man nichts als das Quietschen der Turnschuhe, Fang- und Wurfgeräusche und Atmen. Coach Carter bellte seine Kommandos und wir parierten. Hin und wieder versammelte er uns um sich, hob die Hände, und wir setzten uns wie Jünger zu seinen Füßen. Dann schwärmte er voller Selbstergriffenheit von seiner Zeit in der NBA , der National Basketball Association. Er sprach von berühmten Spielern und ein anerkennendes Raunen ging durch die Mannschaft. Nur Benny Wiseman blieb

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