Alle vier Martin-Schlosser-Romane: Kindheitsroman - Jugendroman - Liebesroman - Abenteuerroman: Mit einem Vorwort von Frank Schulz (German Edition)
drehen, bis sie nicht mehr konnte.
»Erzähl das bloß nicht Papa«, sagte Renate und beförderte die tote Fliege mit Handfeger und Schippe in den Komposteimer.
Beim Spiel gegen Jugoslawien standen Bonhof, Wimmer, Herzog und Hölzenbein in der Mannschaft, und es klappte wieder. Breitner schoß ein Tor aus 25 Metern Entfernung und Müller eins im Liegen. Jetzt konnten wir doch noch Weltmeister werden.
Gut waren aber auch die Holländer. Die besiegten Argentinien mit 4:0. Das erste Tor hatte Johan Cruyff erzielt, aber wie! An dem herausstürzenden Torwart trieb er den Ball immer weiter nach links vorbei und schob ihn dann ins leere Tor hinein, ganz lässig. Der beste Spieler aller Zeiten sollte ja Pele sein, aber ich hatte noch nie einen so guten wie Cruyff gesehen.
Im Hobbyraum stellte ich den Treffer nach, mit einer Bocciakugel als Fußball, dem Sofa als Tor und den Sofabeinen als Torpfosten. Den argentinischen Torwart mußte ich mir dazu vorstellen. Vorbei und rein!
Mama und Papa waren wieder da, aber das Spiel gegen Schweden mußte ich mir alleine ankucken. 0:1 Edström (26.), 1:1 Overath (50.), 2:1 Bonhof (51.), 2:2 Sandberg (53.), 3:2 Grabowski (78.), 4:2 Hoeneß (90., Foulelfmeter). Donner und Doria. Das war ja wohl mindestens so dramatisch wie das Spiel des Jahrhunderts. Ich drehte fast durch, aber da war ich der einzige in unserer Familie.
Am Montag mußte ich in Koblenz Paßfotos von mir machen lassen für den neuen Wuermeling.
Bloß nicht die Augen zuhaben, wenn der Blitz kommt.
Renates Liebster war jetzt Schütze Arsch im letzten Glied bei der Bundeswehr, in der Deines-Bruchmüller-Kaserne.
Im Zweiten kam ein Wildwestfilm mit Old Surehand, der aus großer Entfernung brennende Lunten ausschießen konnte, sich aber sonst wie ein blöder Lackaffe aufführte. Wie der schon redete: »Ich danke Euch nochmals, Miss!« Und: »Eigenartig, Ihr erinnert mich an jemanden. Sie war hübsch, genau wie Ihr …« Zum Reihern.
Meinen Wuermeling mußte ich selbst unterschreiben, über der Zeile Unterschrift des Inhabers.
Renate fuhr nach Lindau zu Tante Hanna, und abends spielten wir gegen Polen. Dafür mußte erst noch das Regenwasser vom Rasen gewalzt werden, aber der wurde und wurde nicht trocken. Immer blieb der Ball in Pfützen liegen, und bei Spurts rutschten die Spieler aus und fielen auf die Fresse. Das Frankfurter Waldstadion hatte keine gute Drainage.
Die Polen spielten mit Deyna, Lato und Gadocha. Der beste Stürmer, Szarmach, fehlte zum Glück, der war verletzt. Im Tor stand der gefürchtete Elfmetertöter Tomaszweski. Als Hoeneß in der zweiten Halbzeit zum Elfmeter anlief, dachte ich gleich, das geht schief, und tatsächlich, Tomaszewski hielt! Wir hätten ja nur ein 0:0 gebraucht, um ins Endspiel zu kommen, aber es war eine Erlösung, als Gerd Müller eine Viertelstunde vor Schluß ins Schwarze traf. Gerd Müller war doch der Beste von allen. Was der schon für Tore geschossen hatte. Eins phantastischer als das andere.
Um den dritten Platz hätte ich nicht spielen wollen. Polen gegen Brasilien. Eben noch den Weltmeisterschaftstitel vor Augen und dann gegen eine andere Verlierermannschaft antreten müssen. Da ging es nur um die Ehre, und es gab für keinen groß was zu bejubeln, auch in der 75. Minute nicht, als Lato den Siegtreffer schoß.
Abends kam im Ersten Otto, was ich noch im Wohnzimmer kucken durfte, aber für den Gruselfilm zwei Stunden später mußte ich alleine in den Hobbyraum runter. Das Schloß des Schreckens. Da glotzten wandelnde Leichen nachts durch die Fenster rein. Die mittlere Neonröhre britzelte laut, aber ganz im Dunkeln wollte ich auch nicht sitzen. Die Vorhänge hatte ich zugezogen. Alle paar Minuten, wenn das Bild zu flackern anfing, mußte ich aufspringen und den Fernseher kurz ausmachen, damit er sich wieder bekriegte, und wenn ich auch wußte, daß unterm Sofa nur Staubflusen lagen und keine kalte glitschige Totenhand hervorschnellen und mich am Fußgelenk packen konnte, fiel es mir jedesmal schwer, vom Sofa zum Fernseher zu hüpfen und zurück. In dem Film passierten immer schaurigere Sachen. Allein von der Musik drehte sich einem der Magen um. Ich wollte keine Memme sein, aber irgendwann konnte ich es nicht mehr aushalten, und ich rannte, ohne den Fernseher auszumachen, die Treppe hoch und in mein Zimmer und sprang ins Bett, und das Licht ließ ich an.
Am Sonntag stellte Mama vor dem Endspiel Kirschkuchen mit Schlagsahne auf den Tisch. Für meinen Geschmack dauerte
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