Alle vier Martin-Schlosser-Romane: Kindheitsroman - Jugendroman - Liebesroman - Abenteuerroman: Mit einem Vorwort von Frank Schulz (German Edition)
war mir das zu dreist vorgekommen, weil fast alle Mittelstürmer sein wollten und keiner Vorstopper, obwohl es ja auch Vorstopper geben mußte, aber ich wollte nun mal Tore schießen wie am Fließband. Meine Idole waren schließlich Cruyff, Pele und Müller und nicht Schwarzenbeck. Wenn schon, denn schon.
Tagelang wartete ich auf eine Reaktion, und in jeder Pause sah ich mir den Aushang an. Da hatten sich drei Torhüter, vier Liberos, zwei Linksaußen, drei Rechtsaußen und elf andere Mittelstürmer eingetragen. Dann war der Zettel weg, und es hingen bloß noch zwei Ecken davon am Brett, links und rechts unter den Reißbrettstiften.
Über die Schulmannschaft verlor nie wieder irgendwer ein Sterbenswörtchen. Weiß der Geier, ob die Idioten einen anderen Mittelstürmer als mich genommen hatten oder ob denen die Lust an der Sache vergangen war. Die würden sich noch in den Arsch beißen, wenn ich zweimal oder dreimal Weltmeister geworden war als Kapitän der deutschen Elf, zehnmal am Stück Deutscher Meister, Rekordnationalspieler und der größte Torschützenkönig aller Zeiten. Und dann sollte mich mal einer fragen, wie das mit der Schulmannschaft vom Eichendorff gewesen war.
In der Buchhandlung Reuffel blätterte ich in den WM-Büchern von Fritz Walter, Dieter Kürten, Ernst Huberty, Hennes Weisweiler, Uli Hoeneß, Paul Breitner und Udo Lattek. Wie der Haitianer Emanuel Sanon die Weltrekordserie des italienischen Torwarts Dino Zoff beendete, der 1142 Spielminuten lang alles gehalten hatte.
Das WM-Buch von Franz Beckenbauer kriegte man nur bei Eduscho. Für ein anderes gab es in den Schokoladentafeln von Sprengel farbige Sammelbilder von den Weltmeisterschaften 1966, 1970 und 1974. Drei hatte ich schon. Nr. 8: Brülls war verletzt, Haller mußte aus taktischen Gründen zusehen. So kam der Duisburger Krämer als Rechtsaußen zum Zug. Seine Dribbelkünste halfen mit, der deutschen Mannschaft den knappen Erfolg über Spanien zu sichern. Nr. 42: Müllers Siegtor wie aus dem Lehrbuch! Moore hatte den deutschen Torjäger sträflich ungedeckt gelassen, Bonetti sich zu spät von der englischen Torlinie gelöst. Ein klassischer Treffer in klassischer Haltung! Und Nr. 76: In vorbildlicher Schußhaltung jagte Grabowski den Ball an Augustsson (18) vorbei zum 3:2 ins schwedische Tor.
Auf der Straße übte ich, wie man Bällen Drall gibt. Immer gegen die Gartenmauer.
Wiebke kuckte Plumpaquatsch. Die wollte eben nicht Weltmeister werden. Hätte sie ja auch gar nicht gekonnt, oder allenfalls im Damenfußball. Ein Glück, für mich und für Deutschland, daß ich kein Mädchen war!
Im Zweiten kam ein Krimi mit Miss Marple, einer dicken alten Frau, die schlauer war als alle Polizisten. Um einen Mörder zu finden, ließ sie sich bei einer verdächtigen Familie als Hauswirtschafterin einstellen.
Was der Trebitsch wohl für ein Gesicht gemacht hätte, wenn Michael und ich angekommen wären und gesagt hätten, daß wir für ihn Essen kochen und die Fenster putzen wollten. Da hätten wir auch gleich Harakiri begehen können. Erwachsene, selbst alte Omas, hatten es doch bedeutend leichter beim Detektivspielen.
Zum Geburtstag wollte Papa einen Teppich für Mama knüpfen und hatte auch schon fast ein halbes Jahr lang daran rumgedoktert. Zum Schluß mußte Renate mithelfen, dabei hatte sie selbst am nächsten Tag Geburtstag und mußte noch fünfzig Amerikaner backen.
Ich hatte für Renate bunte Schnapsgläser gekauft und stellte sie morgens auf den Gabentisch. Da lagen schon Broschen, Anhänger und ein neuer Bademantel. An einer Kerze lehnte eine LP von Cat Stevens: Mona Bone Jakon.
Abends brachte Olaf Renate eine Rose und einen Ring mit. Aus einem von den Schnapsgläsern, die ich ihr geschenkt hatte, trank Renate Whisky, den sie mitten in der Nacht wieder auskotzte, vom Balkon runter.
Beim Mittagessen stellte sich raus, daß Renate schon nach der zweiten Stunde wieder nachhause gefahren war und sich hingelegt hatte.
Renates Kotze spülte Papa abends mit dem Gartenschlauch von der Hauswand ab.
Von Wiebke, Volker und mir kriegte Mama eine Schachtel After Eight zum Geburtstag, stinkfeine Schokoladentäfelchen mit Pfefferminzgeschmack, jedes Stück in einer extra Papierhülle.
Wenn ich Mama gewesen wäre, hätte ich alles auf einen Satz aufgefressen, aber Mama ließ sich nur ein einziges Exemplar auf der Zunge zergehen und versteckte die angebrochene Schachtel.
Ich suchte überall, aber das Versteck war zu gut.
Mit Michael Gerlach
Weitere Kostenlose Bücher