Alle vier Martin-Schlosser-Romane: Kindheitsroman - Jugendroman - Liebesroman - Abenteuerroman: Mit einem Vorwort von Frank Schulz (German Edition)
konnte ich mich auch nicht mehr gut hinsetzen und Kerzenständer oder Holzlöffel bunt anmalen. Diese ewigen Kerzenständer und Holzlöffel kotzten die Verwandten höchstwahrscheinlich schon seit langem an, nur daß sich das niemand zu sagen traute.
In den meisten Fällen, fand ich, war ein Briefchen als Geschenk genug, wenn man so wenig Geld besaß wie meiner einer.
Auf dem Hinweg zur Schule war die Bahnschranke unten und auf dem Rückweg die Hubbrücke oben. Als ob da Dämonen am Werk wären, die mich unterbuttern wollten. Und gleich hinter der Hubbrücke knallte mir plötzlich von links ein Auto ins Rad.
Ein Mann half mir hoch, und ein anderer sagte, er habe die Autonummer notiert. Der Fahrer hielt mit seinem Käfer erst ein gutes Stück weiter unten am Straßenrand an und stieg aus und kam angelaufen.
Außer dem Schrecken hatte ich nicht viel abgekriegt. Das Fahrrad dafür um so mehr: Der Vorderreifen war völlig verknautscht, und das Rücklicht und der Ständer waren abgebrochen. Papa würde mir ’ne schöne Szene machen. Oder auch nicht, denn der Käferfahrer hatte mir beim Abbiegen die Vorfahrt genommen. Er fragte mich, ob ich verletzt sei, und der Mann, der mir auf die Beine geholfen hatte, pflaumte ihn an: »Was sind denn Sie für ’n Sonntagsfahrer?« Dieser Mann schrieb mir seine Telefonnummer auf, als Unfallzeuge, für den Fall der Fälle. Ich erhielt auch einen Zettel mit Namen, Adresse und Telefonnummer des Käferfahrers. Er riet mir, das Rad bei Geyer reparieren zu lassen. Das war das Fahrradgeschäft neben dem Kreisgymnasium. Die Kosten würde er mir natürlich erstatten.
Ich war froh, daß ich mir nichts gebrochen hatte, und fast noch froher, als der ringsherum entstandene Menschenauflauf endlich wieder auseinanderging. Nicht daß ich mit diesem Scheiß noch in die Zeitung kam. An ein Lied von Ulrich Roski mußte ich dabei denken:
Eine Hausfrau, die gern kocht, geht vorüber und sinniert,
Ob man Menschenauflauf wohl mit Speckstreifen garniert ...
Am frohesten von allen war wohl der Käferfahrer. Schließlich hätte ich auch tot sein können. Oder hirngeschädigt und rollstuhlreif, und der Typ hätte die Kosten für siebzig Jahre Klapsmühle übernehmen müssen.
Um das demolierte Rad nachhause zu befördern, mußte ich es beim Schieben vorne anheben und mich dabei anglotzen lassen.
Und die Bahnschranke war wieder unten.
Mit dem Mittagessen hatten die andern schon angefangen. Kartoffelbrei, Spinat und Spiegeleier. Eins von Mamas sieben Standardgerichten, und nicht das schlechteste, obwohl die sich nicht groß was nahmen. Die übrigen sechs waren Kartoffeln mit Klopsen und Bohnen, Kartoffeln mit Klopsen und Erbsen, Kartoffeln mit Klopsen und Möhren und Kartoffeln mit Gulasch und Blumenkohl sowie Spaghetti mit Spiegeleiern. Gerichte mit Koteletts, Schnitzeln und Hähnchen kredenzte Mama uns nur sonntags. Ente, Gans oder Kaninchen blieben hohen Feiertagen vorbehalten.
Wo ich mich so lang herumgetrieben hätte, wollte Mama wissen. Das Essen werde ja schon kalt!
»Mir ist einer reingefahren«, sagte ich, doch das schien niemanden zu interessieren. Ich hatte geglaubt, das sei die Sensation des Tages, aber bitte, wenn man hier noch nicht einmal als Verkehrsunfallopfer im Mittelpunkt stand, konnte ich auch die Klappe halten. Hätte ich ja nicht gedacht, daß Mama und Papa so gelassen auf die Nachricht reagierten, daß mir einer reingefahren sei. Die quatschten einfach weiter übers Finanzamt und Papas Versorgungsbezüge. Man lernte doch wirklich nie aus.
Zum Nachtisch gab’s Kirschjoghurt. Ich saß als letzter Mann am Tisch. Volker und Papa hatten hinten im Wohnzimmer schon ihre Kaffeetassen leergepichelt, und ich kratzte gerade meinen Joghurtbecher aus, als Papa reinkam, aufgeregt wie ein Handfeger, und mich fragte, was um Himmels willen mit dem Fahrrad los sei. Ich hatte es im Vorgarten an die Teppichstange gelehnt, und da mußte Papa es erblickt haben, auf dem Weg zum Peugeot.
»Hab ich doch gesagt! Da ist mir einer reingefahren!«
»Reingefahren! Und wer ist dir da reingefahren? Etwa ’ne Dampfwalze?«
Jetzt kam auch Mama angeschossen. Ob ich noch klar bei Verstand sei? »Mann Gottes! Du sitzt hier seelenruhig rum und löffelst Joghurt, ohne ein Wort darüber zu verlieren, daß du fast draufgegangen wärst im Straßenverkehr! Junge!«
»Wieso? Ich hab euch doch gesagt, daß mir da einer reingefahren ist!«
»Reingefahren, ja, aber wir haben doch alle angenommen, daß du mit ’m
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