Alle vier Martin-Schlosser-Romane: Kindheitsroman - Jugendroman - Liebesroman - Abenteuerroman: Mit einem Vorwort von Frank Schulz (German Edition)
sitzt!«
Die Amerikaner, sagte er, fräßen alle rund um sich zu. Das schiere Fett, wenn’s sein müsse. Nur die Juden und die Moslems äßen kein Schweinefleisch. Da wären vielleicht mal Trichinen drin gewesen, und die Leute, die davon gegessen hätten, wären reihenweise gestorben, und dann hätten die Leute daraus die Lehre gezogen, kein Schweinefleisch mehr zu essen, und um dem Volk die neue Vorschrift einzubimsen, hätten sie ein religiöses Gebot daraus gemacht.
Franz Beckenbauer regte sich in seinem Buch darüber auf, daß sein älterer Bruder als Teenager zu nachtschlafender Zeit in Schwabing auf Achse gewesen sei, zwischen Bars und Striplokalen, und daß er Mädchen abgeküßt habe.
Als mein Bruder in sein Bett kroch, wurde ich wieder wach. Es roch nach irgend etwas Bitterem.
»Das stinkt«, nörgelte ich.
»Das ist Bier, du Depp.«
Dann schnarchte er bald.
Ich stellte mir plötzlich vor, daß aus dem gleichen Erdboden eine Blume, aber auch eine Brennessel hervorsprießen kann. Sollte etwa mein Bruder eine Brennessel sein?
Ach du Schande. Der biersaufende Bruder als Brennessel und der unschuldige Franz als Blume? Und sowas schimpfte sich Kaiser! Da hatte ich schon fast keine Böcke mehr zum Weiterlesen, aber ich überwand mich, und das war gut, denn sonst hätte ich nie erfahren, daß Beckenbauer einmal von Pelé getunnelt worden war und daß Jürgen Neumann, Uwe Klimaschweski und Otto Rehhagel nach Beckenbauers Ansicht zu den härtesten Spielern der Bundesliga gehörten. Gerd Müller habe sich einmal darüber beklagt, daß ihm die Schienbeine bereits wehtäten, wenn der Trainer nur diese Namen nenne.
Den neuen Ball probierte ich im Garten aus und kriegte gleich eine gelangt, weil ich ’ne Pflanzenstaude umgeschossen hatte.
Mama erlaubte mir, Michael Gerlach anzurufen, und ich schlug ihm vor, ein Damespiel per Brief zu beginnen. Dann holte ich mir von Wiebkes Kleiderschrank den Stern mit den nackten Negerinnen runter und verhängte das Schlüsselloch der Klotür von innen mit einem Handtuch, zur Sicherheit.
In dem Film »Die Kaktusblüte« spielte Walter Matthau einen Schürzenjäger, der allen möglichen Frauen den Kopf verdrehte. Da lachte sich selbst Papa schief, aber als der Film vorbei war und die Weihnachtsbaumkerzen wieder angezündet werden sollten, hörte der Spaß auf: »Die oberen zuerst, du Rindvieh!«
Mama erinnerte sich noch gut an den Tod von Oma Thoben, Oma Jevers Mutter, die einen Tag vor Heiligabend gestorben war. »Das war vielleicht ’n Weihnachtsfest!« Und bei Opa Thobens Tod sei das Pendel der Uhr auf dem Wohnzimmerbüfett stehengeblieben, wie von einer Gespensterhand angehalten. Und er habe das Uhrwerk noch am Abend davor selber aufgezogen.
Am zweiten Weihnachtsfeiertag fuhren wir zu sechst im Peugeot nach Jever. Papa wollte Tante Dagmars altes Fahrrad abholen, für mich, und für sich selbst die große alte Eisenbahnplatte, die er mal für Gustav gebaut hatte, als der noch klein gewesen war.
In Papenburg hießen die Querstraßen »Hauptkanal links« und »Hauptkanal rechts«. Die armen Kinder, die da wohnen mußten. Die sehnten sich wahrscheinlich nach ’ner Großstadt wie Meppen.
Eine Weile fuhr ein Opel mit dem Kennzeichen LER vor uns her. Der kam aus Leer.
»Nun kuckt euch mal diesen Ostfriesen an«, sagte Mama. »Kann noch nicht mal den Namen seiner eigenen Stadt richtig schreiben.«
In Aurich ist es schaurig und in Leer noch viel mehr.
Mama wies uns auf die alte Mühle in Bagband hin und trällerte ein Lied übers Jeverland:
Mien Jeverland, wo leev ik di, daar liggt mien Hart, mien Glück!
Daar liggt de ganze Welt vör mi, daar tüschen Warft un Diek.
Daar liggt dat all in’n Sünnenschien, un wat ik seh, is mien, is mien –
daar sün ik tohuus! Daar sün ik tohuus ...
Sie kriegte sich überhaupt nicht mehr ein, als sie das sang.
Daar liggt mien Dörp, mien School, mien Kark,
dar kenn ik Boom un Struuk ...
Je näher wir dem Ziel kamen, desto mehr freute ich mich auf das Bauchkribbeln, das sich früher jedesmal gemeldet hatte, wenn in der Mühlenstraße Omas und Opas Haus Vorgartenzaun in Sicht gekommen war, aber das Kribbeln blieb aus. Ob das mit dem Erwachsenwerden zusammenhing?
Auf der Haustreppe lief Oma Jever uns mit offenen Armen entgegen. »Oh, ihr Lieben alle! Da seid ihr ja endlich!« Erst durch Omas Entzückensschreie stellte sich bei mir das altvertraute Kribbeln ein.
Im Flur standen Tante Gisela, Tante Dagmar und Gustav Spalier. Opa
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