Alle vier Martin-Schlosser-Romane: Kindheitsroman - Jugendroman - Liebesroman - Abenteuerroman: Mit einem Vorwort von Frank Schulz (German Edition)
Weihnachtsgeschenk ein Monopolyspiel. Mama und Papa mußten sich mit Gutscheinen für Staubsaugen und Rasenmähen begnügen und die anderen Verwandten mit schriftlichen Segenswünschen. Ich war nun mal nicht Rockefeller.
Renate hatte Ferien bis zur zweiten Januarwoche und berichtete, daß in der Hildener Kirche das Weihnachtsoratorium gesungen worden sei. Oma Schlosser habe mitgesungen. Die war Chormitglied. Und beim Altmaidentreffen hätten Renate und noch zwei andere auf Blockflöten was von Händel vorgespielt, im Zwölfachteltakt.
Altmaidentreffen! Bei dem Wort lief’s mir kalt den Rücken runter. Rentnerinnen, die mit Hörrohr, Dutt und Zwicker angeradelt kamen, auf ’ner Draisine womöglich, um sich das Flötengetröte in ihrer alten Landfrauenschule anzuhören ...
In Birkelbach könne man durchaus einen Internatskoller kriegen, sagte Renate. Neulich habe eine überkandidelte Frau eine Rede geschwungen, um alle Maiden von den Vorzügen eines Mikrowellenherds zu überzeugen. Damit lasse sich im Handumdrehen Gefriergut auftauen, und es fehle, wie Renate meinte, bloß noch ein Roboter, der die Mahlzeiten in zwei Sekunden auffresse.
In Hilchenbach hätten sie ’ne Lederfabrik besichtigt, drei Stunden lang. Das sei zwar ganz interessant gewesen, und hinterher hätten sie »Fallreste« geschenkt gekriegt, aber wie es da gestunken habe! »Zweien war’s danach so schlecht, daß sie am Nachmittag im Bett geblieben sind.«
Tischdeckamt habe sie neulich gehabt. Morgens nach dem Frühstück abräumen, Tischdecken weg, alle 91 Stühle hoch, Fußboden fegen und bohnern, mit ’nem Besen mit unwahrscheinlichem Linksdrall, gegen den kaum anzukommen sei, und dann die Stühle wieder runter, Heizungen ausmachen, staubwischen, Türfensterscheiben mit Terpentin reinigen und die Tische fürs zweite Frühstück decken. Und so gehe das da bis abends weiter.
Wie im Zuchthaus.
Volker und ich fuhren mit Papa los, einen Weihnachtsbaum kaufen, und dann sahen wir auf der Umgehungsstraße einen liegen, auf der Gegenfahrbahn. Der war wohl von irgend ’nem Laster gepurzelt.
An der nächsten Abfahrt machte Papa kehrt. Über das Verbot, auf der Umgehungsstraße anzuhalten, setzten wir uns hinweg. Papa zwängte den Baum in den Kofferraum, und die Sache war erledigt, auch wenn wir im Schrittempo zurückfahren mußten, mit offener Kofferraumklappe. So billig waren wir noch nie zu einem Weihnachtsbaum gekommen. Und wir hatten sogar noch ein gutes Werk getan, denn auf der Umgehungsstraße hatte der herumfliegende Baum ja eine Unfallgefahrenquelle erster Güte gebildet.
In der Kellerwerkstatt spielten Papa und Renate mit dem Goldhamster, den Wiebke kriegen sollte, aber der Hamster spielte nicht mit. Der wollte sich nicht streicheln lassen, sondern immer nur weg. Er beschnüffelte die Lötbrille auf Papas Werkbank, schmiß ein Marmeladenglas mit Nägeln um und versuchte dann, ein Schraubenregal zu erklimmen.
Hamster waren nachtaktive Tiere und pennten am Tag. Die zwei Lebensjahre, die Wiebkes Hamster Pepik bevorstanden, würde er größtenteils in dem Käfig zubringen müssen, den Mama und Papa gekauft hatten, mitsamt Häuschen, Schlafwatte, Laufrad, Trinkröhrchen, Freßnapf und Spreu. Und das alles ohne Weibchen und auch ohne andere Hamsterkumpel. Total allein, mit Wiebke als einziger Spielgefährtin, die ihm nachts nur was vorschnarchen würde, wenn er sich austoben wollte, so wie einst seine Ahnen im syrischen Wüstensand. Jeder Hund hätte es bei mir besser gehabt als Pepik bei Wiebke.
»Die geht morgen sicher gar nicht ins Bett, wenn sie den Hamster hat«, sagte Renate.
Früher hatte ich mir an Heiligabend schon morgens ein Loch in den Bauch gefreut und war den ganzen Tag über von Vorfreude erfüllt gewesen. Jetzt, in Meppen, sollte ich den Weihnachtsbaum festhalten, als Papa die Schrauben in den Ständer zwirbelte. »Halt das Scheißding senkrecht!« belferte Papa, während er unten die Schrauben anzog.
Das Ergebnis mißfiel ihm. »Hast du keine Augen im Kopp? Das soll doch nicht rumhängen wie so ’n Lämmerschwanz! Dreh du jetzt mal die Schrauben wieder raus, und ich kümmer mich um den Baum!«
Die Schrauben hatte Papa so weit reingewürgt, daß ich mir beim Herausdrehen fast die Finger brach. Dann schrie Papa nach Volker, der sich im 90-Grad-Winkel zu Papas Position aufstellen und von da aus kontrollieren sollte, ob der Weihnachtsbaum noch Schlagseite habe.
»Mehr nach links«, sagte Volker, und Papa brachte seinen
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