Alle vier Martin-Schlosser-Romane: Kindheitsroman - Jugendroman - Liebesroman - Abenteuerroman: Mit einem Vorwort von Frank Schulz (German Edition)
darfst, vorausgesetzt, du haust die nicht in Dutt. Und vergiß deine Zahnbürste nicht!«
Bessere Laune kriegte Mama erst abends bei einem Film, in dem eine scheinbar harmlose Rentnerin auf raffinierte Weise eine Bank aufs Kreuz legte. Da rieb Mama sich die Hände und schenkte sich und Papa noch einen Sherry ein.
Abfahren mußten wir schon morgens um sechs. Papa hatte sich für elf Uhr mit unserem neuen Mieter in Vallendar verabredet, aber wir kamen erst um kurz vor halb sieben los, weil der Peugeot nicht anspringen wollte, und dann hätten wir noch fast Papas Koffer in der Einfahrt stehengelassen. Wir waren schon in der Kurve zur Umgehungsstraße, als ich im Rückspiegel Mama angerannt kommen und gestikulieren sah.
Das fing ja prima an.
Mama wollte mit Wiebke im Polo nachkommen und unser Bruchpilot Volker per Bahn und Moped.
Bis Münster ging’s noch mit der Temperatur, aber dann wurde man im Auto fast malle vor Hitze, und erst recht im Stau auf der Autobahn.
Wenn das so weitergehe, kriege er bald ’n Dahlschlag, sagte Papa.
Ich blätterte im »Shell-Atlas«. Das Pannenhilfe-ABC. Schlüssel abgebrochen?
Laubsägeblatt mit der Zähnung einführen und gegen die Zähnung herausziehen, evtl. mit Graphit, Öl oder Magnet unterstützen.
Den Autofahrer hätte ich sehen wollen, dem dieser Tip irgendwas genützt hätte. Wer fuhr denn mit Laubsägeblättern im Handschuhfach los? Beim Abschleppen sollten Strumpfhosen von Nutzen sein:
Wußten Sie, daß ein Nylonstrumpf gut und gerne ein Abschleppseil ersetzt?
Nein, das hatte ich nicht gewußt. Und was war mit langen Männerunterhosen? Ob man auch damit Autos abschleppen konnte?
Vor uns kroch ein Renault mit dem Stadtkennzeichen UFF herum, und Papa wollte wissen, wofür das stand. Laut »Shell-Atlas« stammte der Wagen aus 8704 Uffenheim.
Ich lauerte auf andere auffällige Autokennzeichen, aber es kamen keine mehr, weder S-EX noch KO-TZ noch KA-CK. Das Lustige an den Kennzeichen mußte man sich selbst ausdenken, wenn man die Bedeutung nicht schon kannte. BA (Bamberg): Blutiger Anfänger. BB (Böblingen): Blinder Bauer. BS (Braunschweig): Besengte Sau. KG (Bad Kissingen): Kein Gehirn.
Am witzigsten waren die mir bekannten Auflösungen der dreibuchstabigen Stadtkennzeichen. FFB (Fürstenfeldbruck): Fahrer fährt besoffen. SHA (Schwäbisch Hall): So hasten Arschlöcher. VIE (Viersen): Vollidiot im Einsatz. WUN (Wunsiedel): Wildsau unter Naturschutz.
Und wir selber? MEP: Muß eilig Pipi. Oder: Möchte Europa plattwalzen.
Ein Mercedes aus Jever überholte uns. JEV: Jeder ein Verrückter.
Es war schön, auch mal vorne sitzen zu dürfen, mit freiem Blick auf Täler und Höhen oder im nächsten Stau auf die Kinder, die sich in dem Wagen vor uns zu viert oder zu fünft auf der Rückbank zusammenquetschten und stritten.
Einmal mußte Papa bei 137 km/h einen Schlenker über die Standspur machen, um den sterblichen Überresten eines Igels auszuweichen.
Ich nahm mir die neuen Lausbubengeschichten von Ludwig Thoma vor. Da ging’s zuerst dem Vogel der widerwärtigen Tante Frieda an den Kragen, mit Zündpulver, und dann kam eine schöne indische Kusine zu Besuch, die Cora hieß. Der starke und zugleich schüchterne Bierbrauer Franz verliebte sich in Cora, ohne bei ihr landen zu können, weil er eben nur ein Bierbrauer war, aber vor ihrer Abreise lief sie ihm auf dem Bahnsteig entgegen, um einen Strauß Blumen in Empfang zu nehmen.
Sie hat die Blumen genommen, und sie hat gesagt, es freut sie, und sie hat ihm die Hand fest geschüttelt und hat gesagt, leben Sie wohl und behalten Sie mich in einem guten Andenken. Dann ist sie weg, und der Franz hat nichts sagen gekonnt und hat sich geschwind umgedreht, daß man nicht sieht, daß er weint.
Und die schöne Cora fuhr zurück nach Indien. An ihrer Stelle hätte ich den Bierbrauer erhört und wäre dageblieben.
Irgendwo hinter Remscheid war Papa falsch abgebogen und wollte zurück, aber zwischen unserer Fahrspur und der Gegenfahrspur verlief eine niedrige Mauer, die überhaupt nicht mehr aufhörte, kilometerlang. Man dachte immer, nach der nächsten Kurve wäre Schluß damit, aber die Mauer wollte einfach kein Ende nehmen, und rechts abbiegen und wenden konnte man auch nicht.
»Was ist denn das für ’ne bekloppte Scheiße«, sagte Papa, und ich kriegte einen Lachkrampf, von dem sich auch Papa anstecken ließ, umso doller, je länger wir in die falsche Richtung fahren mußten.
Gut, daß Mama nicht dabei war. Von Papas
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