Alle vier Martin-Schlosser-Romane: Kindheitsroman - Jugendroman - Liebesroman - Abenteuerroman: Mit einem Vorwort von Frank Schulz (German Edition)
mir auf jeden Fall zu schade ...«
In Köln steuerte der Fahrer einen Parkplatz an, und da blieben wir aus unbekannten Gründen stehen.
»Das Leben ist wie ’ne Hühnerleiter«, sagte Ralle. »Kurz und beschissen.«
Aber weshalb dauerte dann diese Fahrtunterbrechung so lange?
Ich nahm mir meinen Roman wieder vor. Um den zum Bürgermeister gewählten Bauern Andreas Vöst kleinzukriegen, streute der Pfarrer im Dorf das Gerücht aus, daß der Bauer seinen hilflosen alten Vater mißhandelt habe, und daraufhin stellte sich auch das Bezirksamt quer und verweigerte die amtliche Bestätigung der Wahl. Der übertölpelte Bauer war wehrlos dagegen, und in seiner Wut über den Betrug und die Gemeinheit haute er nach einem Streit im Wirtshaus dem Hieranglbauern einen Bierkrug auf den Kopf und wanderte als Totschläger ins Gefängnis.
Da konnte einen selbst die Wut packen, wenn man das las.
Am ärmsten waren die Ärsche dran, die nachher von Meppen aus noch weiterfahren mußten, bis Dörpen oder womöglich bis Papenburg.
Im Garten hatte Papa neunzehn Mäuse zur Strecke gebracht, und auf dem Bökelberg war Gladbach mal wieder mit dem Schrecken davongekommen, im Spiel gegen St. Pauli, nachdem Berti Vogts persönlich kurz vor dem Abpfiff nach vorne marschiert war und das 2:1 erzielt hatte.
Ich schilderte Michael Gerlach die Highlights der Klassenfahrt in einem langen Brief und machte auch aus meinem Heimweh nach Vallendar kein Geheimnis. Wie das Leben in Meppen weitergehen würde, ahnte ich bereits, bevor ich die neueste Schlagzeile im Aushang des Kiosks am Bahnübergang erblickt hatte.
Hitler – Ich wurde verraten
Armer Adolf! Aber wenigstens in Meppen hatte er ja offensichtlich noch einen Freund, der zu ihm hielt. In Treue fest.
In der großen Pause gingen Hermann und ich in den Neubau hinüber, in das Zimmer, wo eine Redaktionssitzung der Schülerzeitung stattfand. Als einzige Vertreter der Mittelstufe hörten wir uns erst einmal an, was die älteren Gründungsväter zu sagen hatten. Einer von denen hatte sogar schon ein Konto bei der Meppener Kreissparkasse eingerichtet, und ein anderer kannte einen Kleinunternehmer in Esterfeld, dem es angeblich geradezu eine Ehre wäre, die Schülerzeitung zu drucken.
Ein Name müsse noch gefunden werden, und kosten dürfe das Heft nur ganz wenig. Die Schmerzgrenze liege bei fünfzig Pfennig.
Eine von den Schülerinnen aus der Oberstufe hatte einen Minirock an und fläzte sich auf einem Hocker, so daß man ihr bis in den siebten Himmel kucken konnte.
Im Spiegel stand eine Reportage über indische Tischsitten. Die Hindus würden dem Trinken ihrer Pisse eine gesundheitsfördernde Wirkung zuschreiben: Die glaubten, daß einen das vor Krebs, Lepra, Pest, Tuberkulose, Bronchitis und Lähmungen schütze. Selbst der Regierungschef Morardschi Desai schlürfe seinen Urin jeden Tag wie Nektar in sich hinein.
Andere Länder, andere Sitten.
Auf die neue Langspielplatte von Wolf Biermann, die es in Meppen nirgendwo gab, war ich neugierig genug, um mit dem Fahrrad bis nach Lingen zu fahren und sie mir da zu kaufen. Zwanzig Kilometer hin und zwanzig zurück, am Rande der B 70, immer entlang an einer der ödesten Routen des Emslands. Auf der Rückfahrt riß der Henkel der Plastiktüte, die ich an den Lenker gehängt hatte, so daß ich meine Fracht in den ausgeleierten Gepäckträger spannen mußte, von dem sie insgesamt fünfmal hinunterfiel, und als ich die so mühsam erworbene LP in Meppen auf den Plattenteller legte, stellte sich heraus, daß sie mehr was für Kinder war, die es toll fanden, Frieden zu spielen.
André Francois, der Friedensclown, lalla, lallalalla, laaa ...
Um mir eingestehen zu können, daß die Platte Kacke war, brauchte ich ein Moratorium. Da hatte ich mich »bekauft«, wie Renate zu sagen pflegte, wenn sie ihr Geld für irgendwelchen Mist verjubelt hatte.
Als ich draußen vor der Hecke wieder Unkraut schöveln mußte, kam auf einmal Didi angeradelt. »Na? So schwer am arbeiten hier?«
»Siehste doch«, sagte ich.
»Ja, das seh ich! Hast gar keine Zeit mehr über für Fußball, was?«
»Im Moment eher nicht.«
»Und später mal?«
»Weiß nicht ... kann ich noch nicht sagen ...«
»Aber früher, da haste doch öfter mal Zeit gehabt?«
Ich schövelte stur vor mich hin. War ich denn Didi eine Erklärung schuldig, wenn ich keinen Bock mehr darauf hatte, mich im Hindenburgstadion langmachen zu lassen?
»Na denn«, sagte Didi, »ich fahr jetzt mal weiter, zum
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