Alle vier Martin-Schlosser-Romane: Kindheitsroman - Jugendroman - Liebesroman - Abenteuerroman: Mit einem Vorwort von Frank Schulz (German Edition)
niemanden am Galgen baumeln sehen, aber die rassistischen Kapitalisten in Südafrika müßten sich nicht wundern, wenn sie eines Tages alles heimgezahlt kriegten, was sie den Schwarzen angetan hätten.
Nach Schulschluß blätterte ich bei Meyer in einem rororo-aktuell-Band, der da schon seit sieben Jahren herumgammelte (»Klassenkämpfe in Westeuropa«).
Zwei Forderungen von unmittelbarem Interesse für den größten Teil der Arbeiterklasse sorgten 1968 für die Vereinheitlichung der Streikbewegung: Die Rentenerhöhung zusammen mit einer grundlegenden Reform des Rentensystems und die Beseitigung der Lohnzonen ...
Ich stellte das Buch ins Regal zurück. Für Diskussionen über das Rentensystem war mir mein Fensterputzgeld zu schade.
Für Oma und Opa Jever tippte Mama auf ihrer neuen elektrischen Schreibmaschine eine Familienchronik.
Lebenslauf und Ehejahre uns’rer beiden Jubilare.
Dafür hatte Mama Opa Jevers Geburtsanzeige kopiert, aus einem Nachrichtenblättchen fürs Harlingerland, von anno dunnemals:
Heute wurde uns ein kräftiger Knabe geboren.
Altfunnixsiel, den 4. April 1896
Lübbo Lüttjes und Frau
In derselben vergilbten Zeitungsausgabe von 1896 standen Annoncen von Opa Jevers Vater, der als Kolonialwarenhändler Gemüse-Sämereien, prima Weißkalk und prima Cement anpries.
Der von Mama fertiggestellten Chronik konnte man entnehmen, daß die Familie 1905 nach Rüstringen umgezogen war. 1914 hatte Opa Jever eine »Notreifeprüfung« abgelegt, und 1915 war er als Infanterist an der Westfront eingesetzt worden, in der Schlacht an der Somme und in Flandern. Als Leutnant der Reserve war er dann Ende 1918 in Altona aus dem Militärdienst entlassen worden.
Eine Jugend unter der Pickelhaube. Armer Opa!
Im März 1919 habe er seine erste richtige Lehrerstelle angetreten, in einer zweiklassigen Schule in Altenesch an der Weser, und 1923 sei er dann nach Jever gekommen, den Ort seines späteren Wirkens, wo er Lehrer an einer Mädchenschule geworden sei und sich als sangesfreudiger Mensch sogleich beim Singverein angemeldet habe. Dank seines klangvollen Organs sei er schon bald zur Stimmstütze im Baß geworden ...
Und in diesem Chor lernte er seine spätere Frau kennen, Oma Jever: Eine der hellsten Sopranstimmen habe damals einer gewissen Emma Thoben gehört, und sie und ihre Freundinnen hätten den neuen Sänger sehr wohl bemerkt. Es sei ihnen auch nicht entgangen, daß er in seiner Sangesbegeisterung jedes Fortissimo mit lebhaftem Kopfwackeln begleitet und damit den Anlaß zu allerlei spöttischen Bemerkungen geliefert habe.
Emma sei zwar ein Kind oldenburgischer Eltern gewesen, aber in der Fußartilleriekaserne in Breisach im Breisgau zur Welt gekommen, als Tochter des Feldwebels Friedrich Thoben und seiner Ehefrau Gesine, geborene Rickels.
Überliefert ist die Anekdote, daß Emma im Alter von zwei Jahren gern die große weite Welt kennenlernen wollte, sich vor dem Wachhabenden aufbaute und treuherzig sagte: »Halbes Pfund gestreiften Peck!« Und der Mann ließ sie passieren, in der Annahme, sie solle eine Besorgung für ihre Mutter machen. Glücklicherweise fand sie sich wohlbehalten wieder ein.
Und wie dann nach der Hochzeit vor fünfzig Jahren das Fünfmädelhaus der Familie Lüttjes in die jeverländische Geschichte eingegangen sei und so weiter.
Von der Anstrengung, die es Mama gekostet hatte, diesen ganzen Kram zu tippen, war sie so erledigt, daß wir uns das Abendbrot selber schmieren mußten.
Im Radio lief ein Song, der mir unter die Haut ging.
And you know that she will trust you
For you’ve touched her perfect body with your mind ...
Leonard Cohen hieß der Sänger.
Im Mai wollten Renate und Olaf in Meppen ihre Verlobung feiern, in großer Runde, mit Ringtausch und Ringelpiez, und Mama war damit einverstanden, aber wenn ich ihren Gesichtsausdruck richtig deutete, sah sie doch so ein bißchen dagegen an.
Bald gehe hier auch die viele Gartenarbeit wieder los, sagte sie. Das sei ihr allerdings immer noch lieber als die gottverflixte Kälte.
»Was wirst du denn eigentlich nach der Schule machen?« fragte Hermann mich. »Zum Bund gehen? Oder verweigern?«
Das war eine gute Frage. Zivildienst? Pißpötte ausleeren und alte Opas schleppen? Oder lieber mit ’ner Knarre im Matsch herumrobben?
Er werde verweigern, sagte Hermann. Sich von einem Hauptmann anschreien zu lassen und im Kriegsfall womöglich zu einer standrechtlichen Erschießung abkommandiert zu werden, das sei nichts für
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